Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Zugriff mehr auf die CD: keine Fotos, keine Beweise, keine Namen. Im schlimmsten Fall würde er selber aus der Presse erfahren müssen, worum es in der ganzen Angelegenheit überhaupt gegangen war. All die Arbeit, die Aufregung und die Angst wären umsonst gewesen. Für die Katz.
Nein, erst einmal wollte er selbst herausbekommen, was sich auf der passwortgeschützten CD befand.
»Herr Sackowitz, sind Sie hier?«, rief der Kommissar durch die Abteilung.
Der Reporter kroch die Trennwände entlang zurück zum Treppenhaus. Wie eine Katze schlich er vorsichtig über verknotete Kabelstränge. Als sich eine Heftzwecke in seine Handfläche bohrte, unterdrückte er den Schmerzenslaut und lauschte einige Sekunden in die Stille des Büros hinein.
Wo ist Kalkbrenner?
Der Beamte war weder zu sehen noch zu hören. Vorsichtig krabbelte Sackowitz weiter.
Dann näherten sich ihm Schritte. Sie wurden immer lauter, und ein Schatten glitt über ihn hinweg. Ein Kollege hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt und runzelte die Stirn, als er Sackowitz neben sich kauern sah. Der Journalist gab ihm ein Zeichen.
Halt bloß den Mund.
So flink, wie es ihm niemand zugetraut hätte, kroch Sackowitz weiter und gelangte zum Treppenhaus.
Er spähte um die Ecke, doch ein Tisch versperrte ihm die Sicht. Er hob den Kopf und konnte Kalkbrenner am anderen Ende des Raums erkennen, direkt vor dem Aufzug, dessen Türen mit einem Klingeln auseinanderglitten.
Sackowitz zwängte sich durch einen schmalen Spalt ins Treppenhaus, vernahm aber schon wieder Schritte. Schnell eilte er weiter in Richtung Erdgeschoss.
»Herr Sackowitz!«, erscholl Kalkbrenners Stimme über ihm.
Der Reporter beschleunigte seine Schritte. Noch zwei Stockwerke. Mittlerweile spielte seine Lunge verrückt, und sein Herz raste. Die letzte Etage. Sein Arzt würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Falls Sackowitz seinen Doktor überhaupt jemals wiedersehen würde.
Keuchend stolperte er ins Foyer und durch die Tür hinaus auf die Straße. Kalter Wind schlug ihm ins Gesicht. Der Reporter hechtete zu seiner Rostlaube, stieg ein, startete den Motor und fuhr davon.
94
Kalkbrenner verharrte auf dem Treppenabsatz und beobachtete vom Fenster aus, wie Sackowitz über die Karl-Liebknecht-Straße auf den Parkstreifen am Alexanderplatz zurannte, in seinen alten roten Polo sprang, vom Randstein losquietschte und Richtung Westen verschwand.
Die Fensterscheibe beschlug von Kalkbrenners Atem. Als er sie mit der Hand abwischte, spiegelte sich in dem Glas sein eigenes Gesicht. Vor Anstrengung war er knallrot angelaufen, und Schweiß lief ihm über die Stirn. Was brachte die fast tägliche Jogging-Qual, wenn ihm selbst ein kleiner, dicker Mann davonlief, der nun wirklich nicht den Eindruck einer Sportskanone machte? Ausgerechnet Sackowitz!
Kalkbrenner erklomm die Stufen zurück in den sechsten Stock, wo auch er feststellen musste, dass sich die Türen zu den Redaktionsräumen nicht vom Treppenhaus öffnen ließen. Er klopfte mehrmals, aber nichts tat sich. Also stieg er fluchend erneut hinab ins Erdgeschoss, wo er den Fahrstuhl nahm.
Oben führte der Chefredakteur Muth und Kalkbrenner durch die Großraumredaktion, in der die wenigen Journalisten an ihren Tischen standen, miteinander tuschelten und den Kopf schüttelten. In seinem Büro angelangt knallte Bodkema die Tür ins Schloss. »Was ist hier los?«
Kalkbrenner atmete schwer. Seine Lunge hatte sich noch nicht beruhigt.
»Geht es dir gut?«, sorgte sich Muth.
»Für solche Hetzjagden bin ich allmählich zu alt.« Er zwang sich zu einem schiefen Lächeln. »Herr Bodkema, wissen Sie, warum Herr Sackowitz vor uns geflüchtet ist?«
»Beim besten Willen, nein, ich habe keine Ahnung, was in ihn gefahren ist.«
»Und da sind Sie sich sicher?«
»Wenn ich es Ihnen doch sage!« Bodkema wirkte wie jemand, dessen schlimmste Befürchtung –
Hat er etwas ausgefressen? –
sich realisiert hatte.
Kalkbrenner atmete einige Male tief durch. Die Nachricht von Radomskis Tod würde bald die Runde machen. Auch auf eigene Faust würden die Zeitungsleute Verbindungen zum Selbstmord des Staatssekretärs herstellen. Es machte also keinen Sinn, die Zusammenhänge noch länger zu verschweigen. »Hat Herr Sackowitz zuletzt vielleicht im Todesfall Jan-Sönken Schulze recherchiert?«
»Was hat denn das mit …?« Bodkema brach erstaunt ab. »Wie kommen Sie darauf?«
Für die Beamten war seine Reaktion eindeutig gewesen. Sackowitz hatte tatsächlich
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