Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
schleppten. Je näher sie der Wohnung im dritten Stock kamen, desto stärker wurde der Geruch. Es stank wie im Zoo.
Im Türrahmen erwartete sie eine übergewichtige Frau. Ihr Brillenglas hatte einen Sprung, ihre Kleider waren ungebügelt, ihre Haare verfilzt, und offenbar hatte sie sich seit mehreren Tagen nicht gewaschen. Ihre Bluse war voller Flecken und am Kragen eingerissen, und auch ihr Rock hatte schon bessere Tage gesehen.
Mit einem Griff zerrte sie ihren Sohn in die Wohnung. »Was haste wieder ausgefressen?«
»Nichts hat er ausgefressen.«
Auf ihrem teigigen Gesicht zeigte sich ein lauernder Ausdruck. »Und warum bringt ihn dann die Polizei?«
»Können wir reinkommen?«
»Muss das sein?«
»Es muss.«
Der Korridor war mit Abfall beinahe zugestellt, an der linken Wand brach ein schmaler Schrank auseinander. Im Wohnzimmer verrottete ein braunes Häufchen in der Ecke, es roch nach Katzenpisse und Vogelkot. Zwischen Couchtisch und Fernseher lag eine mit Katzenhaaren übersäte Kinderunterhose auf dem Teppich. Ein Stück weiter türmte sich ein Kabelberg. Es war undefinierbar, woher die Leitungen kamen und wohin sie führten, aber der Wirrwarr sah gefährlich aus. Trotzdem tobten in unmittelbarer Nähe zwei kleine Kinder herum. Die Mädchen, augenscheinlich Zwillinge, waren pummelig, auf dem Sofa schlief ein Junge mit Decke und Kissen wie in einem Bett. André hatte sich bereits verkrümelt.
»Leben Sie alleine mit den Kindern?«, fragte Kalkbrenner.
»Ja, warum?«
»Wo ist der Vater der Kinder?«
»Verduftet.«
»Kümmert er sich wenigstens um sie?«, wollte Muth wissen.
»Nee, was denken Sie denn? Der hat sieben Kinder mit drei Frauen und kriegt Hartz IV. Der tut nichts für die Erziehung. Und Unterhalt zahlt der auch nicht.«
Die beiden Mädchen tobten immer ausgelassener herum, wobei sie sich abwechselnd Schimpfwörter an den Kopf warfen. »Arschficker.« »Nutte.«
»Waren Sie schon mal auf dem Amt?«, fragte Muth.
»Ein paarmal war ich schon da. Aber passiert ist nichts.«
»Sie wissen bestimmt, dass das Jugendamt Erziehungshilfe anbietet und …«
»Nee, nichts da. Denen traue ich nicht.« Das Plärren der Zwillinge steigerte sich. »Schlampe.«
Sie schubsten sich über den Teppich. »Fotze
.
«
Die eine verkrallte sich in den Haaren der anderen. Von irgendwoher kam plötzlich eine Katze angesprungen und flitzte fauchend durch das Zimmer. »Die kommen mir nicht ins Haus. Das sind meine Kinder, und was mit denen passiert, das bestimme ich.«
»André ist Ihr ältester Sohn?« Kalkbrenner schaltete sich wieder in die Unterhaltung ein.
»Ja, er ist der Große.«
»Er ist nicht oft zu Hause, oder?«
»Nee, ist aber auch gut so. Wenn er da ist, ärgert er nur die Zwillinge.«
»Machen Sie sich denn keine Sorgen um ihn? Schließlich ist er alleine in der Stadt unterwegs?«
»Er ist doch alt genug.«
Er ist neun Jahre alt!
»Es könnte ihm etwas passieren.«
»Ach, was denn?«
»Wissen Sie, wo sich Ihr Sohn während dieser Zeit aufhält?«
»Ja, in dem Treff von diesem … diesem … Er hat’s mir mal gesagt, aber ich komm jetzt nicht drauf.«
»Gerd Fugmann?«
»Kann sein.«
»Hat er je etwas über Herrn Fugmann gesagt?«
»Nee.«
»Hat er vielleicht von anderen Männern erzählt? Zum Beispiel einem Rudolph Fielmeister? Oder Ernst Radomski?«
»Kann mich nicht erinnern.«
»Er hat also nie von Männern erzählt, die sich in dem Treff aufhalten?«
»Ach so, das
meinen Sie.« Die Frau winkte mit einem herablassenden Grinsen ab. »Ich hab ihm immer gesagt, wenn er da hingeht, soll er aufpassen und sich nicht in den Arsch ficken lassen.«
»So viel zum Thema mütterliche Sorgfaltspflicht.« Muth flüchtete sich in den Sarkasmus. Anders konnte sie die Situation nicht ertragen.
»Hä?«, machte die Mutter. »Wie meinen Sie das jetzt?«
»Ach, vergessen Sie’s!«
142
Der Winter empfing Tabori mit vertrauter Kälte. Der Wind peitschte ihm Schnee ins Gesicht, die Hose klebte klamm an seinen Beinen, die Schuhe waren vom Matsch durchweicht, und seine Zehen schmerzten vor Kälte. Wütend stapfte Tabori weiter, immer vorwärts, auch wenn er keine Ahnung hatte, wohin. Falsch – er wusste, wohin er gehen würde.
Mit der Faust schlug er gegen ein Straßenschild, sodass es sich verbog. Es war ein gutes Gefühl. Genauso wie der Schmerz, der jetzt in seinen Fingern brannte.
Er ging die Treppe zur U-Bahn hinunter und nahm schlotternd auf einer Metallbank Platz, von der aus er die
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