Trieb
Jungs galt, sollte eigentlich auch auf Erwachsene zutreffen. Nicht alle von ihnen waren genervt, in Eile oder kümmerten sich nicht um ihre Mitmenschen. Es gab auch andere, nette Erwachsene, und Ludwig war ganz sicher einer von ihnen. Tabori freute sich darauf, seinen Sohn kennenzulernen. »Fritz zu Hause?«
»Nein, leider nicht.« Ludwigs Gesicht verfinsterte sich. »Er lebt bei meiner geschiedenen Frau, seiner Mutter. Wir treffen uns nur selten. Er will mich nicht sehen.«
»Aber ich«, verkündete Tabori.
»Schön! Dann iss auf, und los geht’s.«
72
Thanner hatte es sich auf dem letzten freien Platz im Flughafenbistro bequem gemacht. »Und Paul, was hältst du von Peglar?«
Kalkbrenner führte sich gerade einen Douwe Egberts
zu Gemüte. »Kein angenehmer Zeitgenosse.«
»Glatt«, stimmte Thanner zu. »Wie ein Aal.«
»Und immer geht’s nur ums Fleisch.«
»Wie meinst du das?«
Aus unsichtbaren Musikboxen hagelte Bernhard Brink auf die Köpfe übellauniger Passagiere herunter.
Weckst in mir die schönsten Träume
,
selbst im Winter blühen Bäume. Ein Wunder
,
mein blondes Wunder.
Kalkbrenner schmunzelte über die deutsche Beschallung in Holland. »
Ein Lebemensch
, so hatte die Sekretärin Peglar beschrieben.
Leichtlebiger Umgang
,
Frauen und solche Sachen
.«
Thanner gluckste. »Dann ist er der Branche ja treu geblieben. Fleisch bleibt eben Fleisch. Das eine kostet ihn Geld, das andere bringt ihm was ein. Aber beides stürzt ihn ins Verderben.«
Ein Gongschlag unterbrach die Musik, bevor eine blecherne Durchsage darüber informierte, dass ein Großteil der Abflüge wegen des Schneesturms über Schiphol eine weitere Stunde Verzögerung haben würde. Der Flug LH217
nach Berlin-Tegel ließ bereits seit zwei Stunden auf sich warten. Ein genervtes Raunen ging durch die Restaurantgäste, bevor der nächste Schlager einsetzte.
Thanner rührte seinen Schwarztee um. »Schmeckt dir der Kaffee
eigentlich?«
Kalkbrenner schob die Plörre von sich. »Nee. Ungenießbar.«
Thanner nickte, als habe er keine andere Antwort erwartet. »Hältst du Peglars Aussagen für glaubwürdig?«
Im Geiste spulte Kalkbrenner Peglars kontrollierten Auftritt noch einmal ab. »Immerhin klingen sie schlüssig.«
»Und? Sind sie es in deinen Augen auch?«
Gedankenverloren zog Kalkbrenner den Kaffee wieder zu sich heran. Er hatte die Tasse schon halb an seine Lippen gehoben, als er sich besann. Kopfschüttelnd stellte er sie wieder beiseite. Etwas störte ihn an Peglars Aussage. Und zwar mächtig. Aber was?
Er winkte dem Kellner. Kalkbrenner spürte, dass es ihn nicht nur nach einem neuen Getränk und zwei Käse-Schinken-Baguettes, sondern auch nach einer Antwort auf seine Frage verlangte. »Wäre es nicht möglich, dass Peglar das typische Täterverhalten an den Tag legt? Er hat die Tat begangen und versucht nun durch Schuldzuweisungen von sich abzulenken.«
»Sei mir nicht böse, Paul, aber für mich klingt diese Theorie wie aus dem Lehrbuch für Polizeischüler, aber nicht nach dir. Was
denkst
du
?
«
Es war noch gar nicht so lange her, da hatte Kalkbrenner blindlings seiner Intuition folgen können.
Und meinen kleinen Helferlein.
»Was ist, wenn er seinen Stiefbruder doch umgebracht hat?«
»Ich tue es ungern, aber in diesem Punkt muss ich Peglar recht geben«, widersprach Thanner. »Falls er seinen Bruder hätte umbringen wollen, dann hätte er es mit Sicherheit geschickter angestellt. Meine Güte, derart offensichtlich Spuren zu hinterlassen, das ist doch wirklich dilettantisch.«
»Aber wozu hätte sich Peglar groß Mühe mit dem Vertuschen von Spuren geben sollen?«, fragte Kalkbrenner. »Früher oder später wäre der Verdacht sowieso auf ihn gefallen, bei seinen Schulden und den miesen Geschäften.«
»Moment mal!« Thanner setzte sich aufrecht hin. »Willst du etwa behaupten, er wollte sich erwischen lassen?«
»Ist das denn so abwegig? Er hat genau so viele Spuren am Tatort hinterlassen, dass man ihn zwar des Mordes verdächtigen, ihm aber die Tat nicht hundertprozentig nachweisen können würde.«
»Du hältst ihn für so raffiniert?«
»Wenn ich an den Einbruch denke …«
»Den Peglar nicht begangen hat!«
»Sagt er. Aber wer käme sonst noch in Frage? Wer außer Peglar – von den Fielmeisters
-
Mitarbeitern mal abgesehen – kann von den Morddrohungen nach den Kündigungen gewusst haben?«
Der Kellner servierte die Baguettes, und Kalkbrenner bezahlte, was Thanner nur nach langem Diskutieren
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