Trieb
legte den Burger beiseite, in den er hatte beißen wollen. »Wo ist dein Zuhause?«
»Albanien.«
»Wo sind Mama und Papa?«
»Mama zu Hause. Papa tot.«
»Du bist alleine in Berlin?«
»Ja, alleine.«
»Wie alt bist du, Tabori?«
Tabori kratzte sich am Kopf. »Was ist alt?«
»Ich bin dreiundvierzig Jahre alt. Drei…und…vier…zig. Und du?«
Tabori behalf sich mit seinen Fingern.
»Du bist also elf.«
Tabori streckte noch einen weiteren Finger aus. »Geburtstag.«
»Du hast Geburtstag. Das ist schön. Wann hast du Geburtstag?«
Tabori zeigte zwei Finger.
»Am Sonntag wirst du zwölf. Dann bäckt deine Mama sicherlich einen großen Kuchen für dich?«
Tabori schüttelte traurig den Kopf. »Nein. Kuchen teuer.«
»Aber deine Mama wird bestimmt eine andere Überraschung für dich besorgt haben.«
»Überraschung?«, rätselte Tabori.
»Ein Geschenk. Zu Hause.«
»Nein, nicht zu Hause. Ich … in Berlin.«
»Was?« Ludwig tat erstaunt. »Du willst nicht nach Hause?«
»Ich will arbeiten. Geld. Für Mama.«
»Aber du bist erst elf …«
»Zwölf!«
»Na, meinetwegen, dann eben zwölf! Aber du musst zur Schule, nicht arbeiten.«
»Ich will arbeiten«, erklärte Tabori mit aller Entschiedenheit, die er aufbringen konnte. »Ich habe Arbeit.«
»Du hast Arbeit?«
Tabori nickte. Dann schüttelte er erneut den Kopf.
»Was denn nun?«
»Autos putzen. Aber …« Tabori suchte vergeblich nach dem richtigen Wort. Dann formte er mit der Hand eine Faust und deutete einen Hieb ins Gesicht an.
»Du hast Prügel bekommen. Man hat dich vertrieben. Ja, Berlin ist ein gefährliches Pflaster.«
»Aber ich will arbeiten.«
»Das habe ich schon verstanden, du bist ja auch wirklich hartnäckig.«
»Ich will Ryon finden. Mein … Cousin.«
»Ist Ryon auch in Berlin?«
»Ja, in Berlin. Er verdient Geld. Viel Geld.«
»Hat er das gesagt?«
»Gentiana hat gesagt, er verdient Geld.«
»Herrgott, und wer ist nun wieder Gentiana?«
»Gentiana ist Freundin.«
»Du hast schon eine Freundin?«
»Nein, nein. Gentiana nicht meine Freundin. Freundin von Ryon.«
Ludwig machte eine kurze nachdenkliche Pause, bevor er sagte: »Ich glaube, ich kenne Ryon.«
Überrascht sprang Tabori vom Stuhl auf.
»Nein, nein«, beruhigte ihn Ludwig. »Ich meine nur, dass ich den Namen schon einmal gehört habe. Er ist selten.«
»Zu Hause Ryon ist oft.«
»Ja, bestimmt, Ryon gibt es in deiner Heimat häufig. Aber hier ist nicht Albanien. Hier heißen Kinder wie du Markus, David, Philip, Manuel oder Felix.« Er kicherte. »Oder Ludwig.«
Tabori fiel es immer schwerer, sich auf Ludwigs Worte zu konzentrieren, so aufgeregt war er. »Kannst du helfen?« Er griff in seine Gesäßtasche. Sie war leer. Enttäuscht plumpste er auf seinen Stuhl zurück. Er hatte die Fotos von Mama, Mickael, Gentiana und Ryon in seinem Unterschlupf auf der Baustelle vergessen – der jetzt nur noch ein Trümmerhaufen war.
»Was ist mit dir?«, sorgte sich Ludwig.
»Ich habe Foto von Ryon.«
»Wo?«
»Weg.«
»Das ist nicht schlimm«, sagte Ludwig sanft. »Ich sagte doch: Den Namen Ryon gibt es hier nicht so oft. Wenn du willst, dann …«
»Ja, ich will. Ich will!«
»… suche ich nach Ryon. Ich kenne mich in Berlin aus.«
Sollte Tabori doch noch Ryon wiedersehen? Dann würde alles endlich gut werden, oder? »Ja, bitte.«
»Und wenn ich ihn gefunden habe, wo finde ich dich?«
Tabori fiel in sich zusammen und schaute Ludwig ängstlich an.
»Was? Du hast keinen Platz zum Schlafen? Aber draußen ist es doch viel zu kalt.«
»Ja. Kalt«, wiederholte Tabori betrübt.
Ludwig klatschte in die Hände. »Ich habe da eine Idee.«
70
Sackowitz beschlichen leise Zweifel. War das, was er hier vorhatte, wirklich eine gute Idee? Schließlich hatte sich Bodkema klar und deutlich ausgedrückt.
Der Fall Schulze ist abgehakt.
Sackowitz’ Job war die Recherche in Sachen Fielmeister, nicht mehr und nicht weniger.
Na und? Genau das tust du doch! Du recherchierst im Mordfall Fielmeister!
Wenn sich dabei noch zufällig ein Zusammenhang zum Tod von Schulze ergab, in welcher Form auch immer, dann konnte selbst der Chefredakteur nichts dagegen haben.
»Wo sollen wir uns treffen?«, fragte Sackowitz.
»Irgendwo, wo viele Menschen sind.«
»Haben Sie Angst?«
»Die hätte jeder in meiner Situation.«
»Dann treffen wir uns im Hotel
Park Inn
am Alexanderplatz«, schlug Sackowitz vor.
»Warum ausgerechnet da?«
Weil es gleich auf der anderen
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