Trieb
seiner Rostlaube. Die Heizung nahm sich ein Beispiel daran, indem sie nur noch zögerlich Wärme aus den Schotten pumpte. Endlich in Grünau, quälte sich der Journalist über holprige, vereiste Waldwege zu den Bootsanlegern an der Spree. Vor einer Kleingartenkolonie parkte er den Wagen und legte die letzten Meter bis zur Sportpromenade zu Fuß zurück.
Direkt am Wasser war es noch lausiger. Wind pfiff ihm um die Ohren und peitschte ihm die eisigen Flocken ins Gesicht. Sackowitz setzte die Kapuze seiner Jacke auf und versuchte, nicht gänzlich auszukühlen, indem er auf der Stelle trat. Doch so schnell, wie die Körpertemperatur fiel, konnte er sich gar nicht bewegen. Je kälter ihm wurde, umso mehr schwand auch seine Euphorie dahin.
Seit Radomskis zweitem Anruf war bereits über eine Stunde vergangen. Sackowitz war zu spät. Bestimmt war der Mann schon wieder verschwunden.
Oder er ist gar nicht erst aufgetaucht!
Wahrscheinlich saß er zusammen mit Magda Michels im Warmen bei einer Tasse Kaffee und lachte sich halb schlapp über den aufdringlichen, dummen Reporter, den sie raus in den Osten gelockt hatten, wo er sich die Glieder und weiß Gott was noch abfror.
Zum Glück ließ das Schneegestöber etwas nach. Jenseits der Schienen der Uferbahn, die an Sommertagen entlang der Promenade verkehrte, begann der Berliner Stadtforst. Zwischen den jetzt blattlosen Bäumen und Büschen war die Laubenpieperkolonie auszumachen, aber von Menschen fehlte fast jede Spur. Nur ein einsamer Jogger trabte seines Weges. Irgendwo im Wald bellte ein Hund, ansonsten herrschte winterliche Stille. Kaum zu glauben, dass er sich nur wenige Kilometer von der Hauptstadt befand. Weil sich noch immer niemand blicken ließ, machte Sackowitz sich daran, zum Wagen zurückzukehren.
Plötzlich knackten Zweige neben ihm, und ein Mann löste sich aus dem Windschatten des Strandbades. Der Reporter erkannte Radomski anhand der Bilder, die er von ihm bereits gesehen hatte. Im Vergleich zu den Fotos war sein ungekämmtes Haar jetzt länger, und die ganze Erscheinung wirkte so gehetzt, wie die Stimme am Telefon geklungen hatte. Nervös suchten seine Augen die Umgebung ab, während er fragte: »Herr Sackowitz?«
Der Journalist zückte seinen Presseausweis.
Sein Gegenüber begutachtete das Stück Pappe, als wäre es ein Rettungsring, der ihn vor dem Ertrinken retten würde. »Haben Sie jemandem erzählt, dass wir uns treffen?«
»Nein, niemandem. Sie?«
»Ich bin doch nicht blöd.« Radomskis Blick irrte flackernd umher. »Ist Ihnen jemand gefolgt?«
»Nein, warum denn auch? Ich sagte ja schon: Niemand weiß, dass wir uns treffen.«
Mitleidig lächelnd gab Radomski Sackowitz seinen Ausweis zurück. »Sie haben keine Ahnung, um was es geht, oder?«
»Um Gammelfleisch?«, nahm Sackowitz den Hinweis auf, den er von seinem anderen Informanten bekommen hatte.
»Gammelfleisch?« Radomski gab ein höhnisches Krächzen von sich. »Wohl eher Frischfleisch.«
Sackowitz rieb sich mit seinen Fäusten die kalten Wangen. »Das verstehe ich nicht.«
»Das werden Sie, wenn Sie die Fotos sehen. Eine Riesensauerei, die da vor sich geht.«
»Haben Sie die Bilder dabei?«
»Sind Sie bescheuert, Mann? Nein, die sind wie die Namen und Adressen in sicherer Verwahrung.«
Sackowitz konnte sein Glück kaum fassen. »Namen und Adressen? Wo?«
»Im
Park Inn.
Hotelsafe.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst?« Konsterniert starrte Sackowitz seinen Gesprächspartner an. »Und warum haben Sie mich dann raus nach Grünau gescheucht?«
»Nur zur Sicherheit. Ihrer und meiner.«
Sackowitz schluckte seinen Zorn hinunter. Er wollte Radomski nicht vergrätzen, er wollte endlich handfeste Informationen. »Was ist nun mit dieser Riesensauerei? Was hat es damit auf sich? War Ihr Chef Schulze darin involviert? Und Fielmeister?«
»Es sind noch viele mehr.«
»Und was ist mit Ihnen? Inwieweit sind Sie daran beteiligt?«
»Ich habe …« Radomskis Stimme erstarb, dann fasste er sich wieder. »Ich habe nichts damit zu tun. Ich habe nur davon erfahren.« Seine Worte klangen nicht überzeugend, eher nach einem Mann mit schlechtem Gewissen, der sich die Hände so lange schmutzig gemacht hatte, bis ihm irgendwann erschrocken aufgegangen war, dass sein ganzer Körper gerade dabei war, im Dreck zu versinken. »Irgendetwas ist schiefgelaufen. Es gab einen Toten.«
»Ihr Chef!«, triumphierte Sackowitz. Sein Instinkt hatte ihn also doch nicht im Stich gelassen, sein gottverdammter Riecher war
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