Trieb
ein gefräßiger Wurm bohrte sich der Song in ihren Schädel.
Ja
,
ich bin das Spider-Schwein. Spider-Schwein.
Sie würgte. Schlug sich mit den Fäusten gegen die Schläfe, erst sanft, als wolle sie einen klaren Kopf bekommen, dann immer heftiger. Als sie wieder ausholte, fiel ihr Blick auf die Tätowierung.
Gott ist mit uns. Ach ja
,
ist er das?
Sie lachte hysterisch auf und begann, mit den Fingernägeln über die Schriftzeichen zu kratzen.
»Was machst du da?«, fragte Nina bestürzt.
Annas Bewegungen wurden heftiger. Es brannte, als sich die ersten Hautschichten lösten.
»Anna, lass den Blödsinn!«
Komme, was wolle, sie würde das Tattoo zum Verschwinden bringen. So wie Gott verschwunden war.
Er ist nie da gewesen!
, schrie es in ihr.
So wie Manuel auch nicht mehr da war. Ihre Fingernägel hinterließen tiefe Striemen auf der Haut, die sich bald darauf rot färbten. Der Schmerz lenkte sie ab von der Tortur in ihrem Schädel, verschaffte ihr Erleichterung.
Nina griff nach ihren Handgelenken. »Hör auf!«
Aber Anna schlug nach ihrer Freundin. Nina sprang beiseite, sodass die Faust nur das Bettgestell traf. Es krachte. Erneut hieb sie gegen das Holz. Noch einmal. Und immer wieder.
»Anna!« Alan war zurückgekehrt. Endlich. Wie ein kleines, unbändig wütendes Kind drosch Anna auf das Bett ein. Tränen rannen ihr die Wangen hinab. Der Schleim troff von ihrer Nase auf das Laken. Es kümmerte sie nicht mehr.
Alan sprach beruhigend auf sie ein, aber sie verstand seine Worte nicht. Außerdem wollte sie sich nicht beruhigen. Manuel war nicht mehr da, konnte das denn niemand verstehen? Sie verpasste ihm einen Hieb gegen die Brust. Nach Luft japsend ließ er von ihr ab, prallte gegen das Regal. Es wackelte, sodass ein Teddybär hinunterkippte. Anna beobachtete seinen Flug. Als er kopfüber auf dem Boden landete und dort reglos liegen blieb, kam ein haltloses Schluchzen aus ihrem Mund.
Sie floh wieder unter die Decke, in die Dunkelheit.
103
»Ach, du?« Der Tonfall verhieß keine Freude. »Was willst du denn hier?«
»Ich war gerade in der Gegend«, log Sackowitz. »Also, im Prenzlauer Berg.«
»Aha.«
Er setzte ein Lächeln auf, das noch blumiger als der Strauß gelber Rosen war, den er auf dem Weg schnell an einer Tankstelle erworben hatte. »Und da dachte ich, schaue ich doch mal bei dir vorbei.«
Aus Renates Wohnung waberte der Geruch von Rinderbraten. Er erinnerte Sackowitz schmerzlich daran, wie viel Zeit vergangen war, seit er seinem Magen zum letzten Mal etwas Nahrhaftes zugeführt hatte. Das war zum Frühstück mit Karin und den Kindern gewesen.
Zu ihnen nach Wilmersdorf konnte er nach Karins Worten schwerlich zurückkehren.
Halte dich von Leonie und Till fern.
Auch sein Zuhause in Friedrichshain bot keine akzeptable Lösung, da er damit rechnen musste, dass die Polizei die Wohnung überwachte. Viele Möglichkeiten waren ihm also nicht geblieben, sodass er die erste Alternative gewählt hatte, die ihm in den Sinn gekommen war.
Sein Lächeln wurde noch breiter. »Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen?«
»Nein!« Renate knallte ihm die Tür vor der Nase zu.
Dass sie ihn nicht mit offenen Armen empfangen würde, hatte er schon geahnt, aber auf einen solchen Groll war er nicht gefasst gewesen.
Dann eben nicht.
Er stopfte den Blumenstrauß in einen Abfalleimer und bestellte an einer Imbissbude eine Currywurst. Der schnauzbärtige Türke erwies sich als schwatzhafter Gastwirt. »Scheißwetter«, klagte er.
»Man könnte meinen, es wäre Winter, was?«, scherzte Sackowitz.
»Und diese Nacht soll’s schon wieder schneien. Da sollte man die Kinder lieber im Haus behalten.«
»Ja, das ist mit Sicherheit besser.«
»Dann passiert auch nicht mehr so was wie mit diesem Jungen.«
»Welcher Junge?«
»Lesen Sie denn keine Zeitung?«
Nein
,
ich schreibe für eine.
»Komme nicht so häufig dazu.«
»Dieser Manuel ist doch verschwunden. Der Neffe von so einem bekannten Künstler.«
Sackowitz entsann sich der Schlagzeile im
Kurier.
»Bernd E. Benson?«
»Kann sein. Hab’s nicht so mit der Kunst. Jedenfalls haben sie vorhin im Radio gesagt, dass der Junge tot aufgefunden wurde.«
»Oh, das ist schlimm.«
»Sehr schlimm sogar. Wenn ich mir vorstelle, dass das meinem Sohn passiert wäre … Also …« Er erging sich in finsteren Drohungen. Sackowitz dachte an seine eigenen Kinder.
Solange du deine Kinder stattdessen in Gefahr bringst
,
solange brauchst du dich nicht mehr bei uns blicken
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