Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
Vom Netzwerk:
logisch. Aber sie war bisher trotzdem nur eine Spekulation. Erst die Ergebnisse der Obduktion sowie der erste Bericht der Spurensicherung würden etwas mehr Licht ins Dunkel bringen – oder sogar eine erste richtige Spur
.
Bis dahin galt es, irgendwie die Nacht zu überstehen.
Als ob ich jetzt Schlaf finden könnte.
    Kalkbrenner kippte den Wein hinunter. Der Alkohol würde ihm hoffentlich die nötige Bettschwere bringen. Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Sofort tauchten vor seinem geistigen Auge Bilder auf.
    Es klingelte. Vor Schreck rutschte ihm die Akte vom Schoß, und ihr Inhalt verteilte sich auf den Holzdielen. Bernie sprang bellend auf, rutschte mit der Pfote auf den Unterlagen aus und ließ die Blätter und Fotos durch das ganze Zimmer flattern. Wer mochte so spät noch bei ihm klingeln?
    »Paps, ich bin es«, knackte es aus der Gegensprechanlage. »Schläfst du schon?«
    »Nein, komm hoch.«
    Als Kalkbrenners Tochter durch die Tür trat, flippte der Bernhardiner regelrecht aus. Ob vor Freude über Jessys Besuch oder die Leckerlis, die sie ihm mitgebracht hatte, war nicht zu klären. Während sie ihn fütterte, sagte sie: »Ich habe noch Licht bei dir gesehen und dachte mir, ich klingel einfach.«
    »Das freut mich.«
    »Über deiner Wohnung brennt übrigens ebenfalls Licht.«
    Er rollte genervt mit den Augen.
    »Hast du herausgefunden, was es damit auf sich hat?«
    »Ja, oben ist eine Dachterrasse. Und ein Atelier.«
    »Und das ist so laut?« Jessy tätschelte den Vierbeiner ein letztes Mal und ging ins Wohnzimmer. »Mein Gott, was ist denn hier passiert?«
    Kalkbrenner schob rasch die Blätter auf dem Boden zusammen. Zu spät.
    Jessy griff nach einem der Fotos. »Ist das … der Junge?«
    Ihr Vater nahm ihr das Bild aus der Hand und legte es mitsamt dem Ordner in die Kommode.
    »Aber was hast du
damit …« Ihre Augen weiteten sich. »Nein, nicht wirklich, oder?«
    Kommentarlos griff Kalkbrenner zum Weinglas. Es war leer.
    »Was ist mit ihm passiert?«
    Er setzte sich seiner Tochter gegenüber auf die Couch. »Darüber kann ich nicht reden.«
    »Vertraust du mir nicht?«
    »Natürlich tu ich das. Aber es gibt Dinge, die man besser nicht weiß, wenn man noch ruhig schlafen möchte.«
    Bernie leckte sich die Lefzen und tapste zu Jessy hinüber. Er legte ihr die haarige Schnauze aufs Bein, bettelte um mehr. Abwesend streichelte sie seinen Kopf. »Hast du schon eine Ahnung, wer es getan hat?«
    »Noch nicht.«
    »Gibt es einen Hinweis?«
    Kalkbrenner musste lächeln. »Die Polizei hat achthundert Hinweise aus der Bevölkerung erhalten.«
    Jessy legte ihren Kopf schief. »Und das ist zum Lachen?«
    »Nun ja, es ist unglaublich, was für Spinnereien sich die Leute ausdenken.«
    Sie betrachtete ihren Vater lange, unfähig, den fragenden Ausdruck in ihrem Gesicht durch einen anderen zu ersetzen.
    »Ein Mann hat per Mail behauptet, den Aufenthaltsort von Manuel zu kennen«, sagte Kalkbrenner. »Aber für die Information verlangte er zwei Millionen Euro.«
    »Da fehlen mir glatt die Worte.«
    »Warte, bis du das
hier gehört hast: Eine Frau erklärte, Manuel befände sich in ihrer Wohnung und wäre in Wahrheit ihr Sohn.«
    Jessys Mund stand nun sperrangelweit offen.
    »Ein anonymer Anrufer meinte wiederum, Manuel würde bereits seit fünf Jahren mittels geheimer Psi-Kräfte Kontakt zu ihm aufnehmen. Er hat den Beamten versprochen, den Jungen beim nächsten Gespräch zur Rückkehr zu bewegen.«
    Jetzt zeigte auch Jessy Anzeichen von Erheiterung.
    »Aber den Vogel abgeschossen haben ein paar Kids, die sagten, sie wüssten, dass Manuel am Montag wieder zur Schule kommen und Amok laufen würde, wenn die Weihnachtsferien nicht sofort um zwei Wochen verlängert würden.«
    Jessy kicherte.
    Als sie sich wieder gefasst hatte, fragte er: »Aber warum bist du eigentlich gekommen? Doch nicht nur, weil du Licht gesehen hast, oder?«
    »Nein, ich wollte einfach noch mal mit dir reden.«
    »Wieso?« Heute war Samstag und immerhin der zweite Tag in Folge, dass sie bei ihm auf dem Sofa saß. »Ist was mit dir und Leif?«
    »Nein, nichts, ich meine, nichts Wichtiges.«
    »Jessy, du sollst nicht denken, dass du, nur weil mich dieser Fall beschäftigt, nicht mit mir über …«
    »Ach, Paps, wirklich, es ist nichts. Ich war in der Gegend und wollte nur mit dir quatschen.«
    Sie lächelte. Es war ein aufrichtiges Lächeln.
Nur mit dir quatschen
. Er atmete tief durch und akzeptierte es. So wie seine Tochter ihn

Weitere Kostenlose Bücher