Trieb
ausgehen können, dass er nicht mehr bei Bewusstsein war. Erst im Anschluss an den Gewaltexzess hat der Täter ihn umgebracht, indem er ihn mit einem handelsüblichen Seil strangulierte. Damit trat der Tod ein.«
Der Gedanke an die Schmerzen, die der Junge bis dahin hatte erleiden müssen, Betäubung hin, Betäubung her,
erzeugte bei Kalkbrenner Übelkeit. Und falls er den Gesichtsausdrücken der anderen Glauben schenken konnte, erging es ihnen nicht anders.
Dr. Wittpfuhl räumte die Fotos zusammen. »Bei der Sektion habe ich Reste von Sperma im Rektum des Jungen gefunden. Das heißt, wir …«
»… haben einen genetischen Fingerabdruck des Täters«, konstatierte Staatsanwalt Heindl. »Das ist doch schon mal was.«
»Ja, das ist ein erster Ansatz«, räumte Dr. Bodde ein. »Allerdings findet sich die DNA nur zum Teil in unserer Datenbank wieder.«
»Zum Teil?«, fragte Dr. Salm. »Was soll das heißen?«
»Die DNA-Spur lässt sich keiner der in den Datenbanken registrierten Personen eindeutig zuordnen. Sie ist jedoch mit der DNA-Spur identisch, die wir bei einem Kindermord vor einem Dreivierteljahr sichergestellt haben.«
»Damals wurde ebenfalls ein kleiner Junge missbraucht und gequält«, bestätigte der Gerichtsmediziner. »Die Misshandlungen von Manuel sind mit denen von damals nahezu identisch. Nur dass sie diesmal ungleich heftiger ausgefallen sind.«
»Verstehe ich Sie richtig«, der Dezernatsleiter rieb sich angestrengt über das Gesicht, »dass dieser andere Fall bisher nicht aufgeklärt wurde?«
Der Staatsanwalt bejahte. »Und das liegt im Wesentlichen daran, dass die Kinderleiche, die damals gefunden wurde, bis heute nicht identifiziert ist. Trotz mehrerer Presseberichte und Fernsehaufrufe hat sich niemand gemeldet, der den Jungen kannte, geschweige denn ihn vermisste.«
»Aber jemand muss seine Abwesenheit doch bemerkt haben!«, entrüstete sich Rita.
»Aber nicht in Deutschland«, sagte Kalkbrenner ruhig, »sondern in Osteuropa, wahrscheinlich in einem kleinen Dorf irgendwo auf dem Balkan. Aber das werden wir unter Umständen nie erfahren.«
Heindl sah ihn überrascht an. »Wie kommen Sie darauf?«
Kalkbrenner berichtete, was er in dem Steglitzer
Saturn-
Markt in Erfahrung gebracht hatte. »Der Elektromarkt, in dem Manuel von der Verkäuferin beobachtet wurde, gilt unter den Ausreißern, Streunern und Strichern als Treffpunkt. Vornehmlich kommen die Kids aus Osteuropa, vom Balkan.«
»Stricher?«, fragte Rita. »War Manuel etwa auch …?«
»Nein, ganz sicher nicht«, widersprach Dr. Wittpfuhl. »Es gab bei ihm keine alten, verheilten Analfissuren, wie sie typisch für Stricher sind.«
Der Staatsanwalt streckte seinen Rücken durch. »Dennoch hat der Täter seine Opfer anscheinend in diesem Umfeld ausgesucht.« Auf dem Bild, das Heindl jetzt präsentierte, war das schmale, mit fleckigen Wunden übersäte, wachsbleiche Gesicht eines elf- oder zwölfjährigen Kindes zu sehen. »Das ist der Junge, den wir vor einem Dreivierteljahr gefunden haben. Wie Sie anhand der Physiognomie leicht erkennen können, stammte er nicht aus Deutschland. Wir vermuteten Osteuropa oder den Balkan als seine Heimat, was durch mehrere Zeugen untermauert wurde, die den Jungen an einschlägig bekannten Orten bemerkt hatten, wo sich vornehmlich Ausreißer und Herumtreiber aus den erwähnten Ländern aufhalten. Dort soll er auch einem Streetworker ein- oder zweimal über den Weg gelaufen sein. Angeblich war sein Name Gregori, aber das kann auch eine Lüge gewesen sein. Letztlich ist sein Name aber auch egal, denn ich glaube nicht, dass der jetzt unser vordringliches Problem ist. Ich darf Sie daran erinnern, dass wir vor wenigen Minuten herausfinden konnten, dass wir es bei dem Mörder von Manuel mit einen Serientäter zu tun haben. In meinen Augen stellt dieser Umstand ein sehr viel wichtigeres Problem dar.«
Robert Babicz räusperte sich. »Mit Verlaub, etwas anderes scheint mir im Moment noch dringender zu sein.«
»Und was wäre das?« Alle Augen richteten sich auf den Psychologen.
»Die Frage, ob der Täter bald wieder töten wird.«
114
Anderthalb Stunden und eine Honigmelone mit Parma-Schinken, einen marinierten Schafskäse, Rührei mit Champignons und frischen Kräutern sowie einen Tomaten-Mozzarella-Salat später beschloss Sackowitz, dass er lange genug gewartet hatte. Sein Magen war gesättigt, der Körper wieder halbwegs bei Kräften. Dafür brummte ihm jetzt der Schädel, weil er die gesamte Zeit
Weitere Kostenlose Bücher