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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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Pause, dann schlug er sich gegen die Stirn. »Ach, ich verstehe: Es geht dir ums Geld, richtig?« Er griff in seine Hose, die neben dem Bett auf dem Boden lag, und feuerte Banknoten in Taboris Richtung. »Hier hast du dein Geld. Na los, heb’s schon auf.«
    »Kein Geld!« Endlich durchbrach Tabori seine Erstarrung und griff im Wohnzimmer nach seinen Schuhen und dem Anorak.
    »Bleib hier!«
    Der Junge stieß gegen den Tisch. Eine der Flaschen wankte, fiel herunter und lief auf dem Teppichboden aus.
    In der Diele warf sich Georg schnell einen Morgenmantel über. »Wo willst du hin?«
    Tabori stürzte ins Treppenhaus. Mit seinen Socken war es auf den Stufen rutschig, er suchte Halt am Geländer. Unten vor der Haustür bremste er, um sich vollständig anzuziehen. Als er sich bückte, um die Schnürsenkel zuzubinden, flatterte einer von Georgs Geldscheinen herab. 10 Euro!
Er hatte sich in der Jacke verfangen. Tabori griff nach dem Geld und bemerkte erst in diesem Augenblick die ältere Frau, die sich an die Wand mit den Briefkästen drückte. Neben ihr hechelte ein kleines Schoßhündchen, in dessen Fell weiße Schneeflocken tauten.
    »Geht es dir gut, mein Junge?«, fragte die Dame. Mit einem Schlüssel deutete sie Richtung obere Etagen. »Warst du bei Herrn Kaiser?«
    »Georg«, sagte Tabori.
    »Ja, Herr Kaiser.« Sie blinzelte und nickte, als hätte sie ihn ganz genau verstanden.
    Ein Stockwerk über ihnen erschien ein kahler Kopf über dem Treppengeländer. Der Hund begann zu kläffen. Georgs Gesicht verschwand.
    »Du solltest zur Polizei gehen.« Die Frau flüsterte. »Gehst du zur Polizei? Bitte?«
    »Nein! Keine Polizei.« Tabori riss die Haustür auf. Draußen empfing ihn der eiskalte Wind mit spöttischem Geheul.

138
    Ein pochender Schmerz breitete sich um ihre Schläfen herum aus. Sie rang nach Luft. Ängstlich öffnete sie die Augen. Jetzt konnte sie wieder atmen. Es war nur ein Traum gewesen, ein Traum, der einen schalen Nachgeschmack auf der Zunge hinterließ.
    Anna Benson lag in einem von drei großen weißen Betten in einem großen weißen Zimmer. Aus Beuteln, die an klapprigen silbernen Galgen baumelten, tropfte klare Flüssigkeit in Schläuche, die unter Annas Decke führten. Sie schob den Stoff ein kleines Stück beiseite. Sie trug einen ihrer Pyjamas. Mehrere Kanülen führten in ihren Arm.
    Eine Krankenschwester kümmerte sich um die Patientin in einem der beiden Nachbarbetten. Die Pflegerin brachte ein paar Pfunde mehr auf die Waage, als ihr gut standen, ging aber beherzt zur Sache. Sie trug ein kleines, gestärktes Häubchen, dazu eine weiße Schürze, unter der Beine in schwarzen Strümpfen hervorwuchsen, und beherrschte ihre medizinischen Handgriffe so rasch und sicher, als hätte sie sie jahrelang einstudiert. Auf dem glatten Linoleumboden quietschten die Sohlen ihrer Birkenstockschuhe bei jedem Schritt.
    Anna hustete.
    »Frau Benson, Sie sind wach?« Die Schwester sah sich um. Das Geräusch, das ihre Sandalen dabei machten, tat Anna in den Ohren weh. Dem kleinen Namensschild am Revers ihres Kittels nach hieß die Pflegerin Doris. »Das ist schön.«
    Wo bin ich?
,
wollte Anna fragen, aber aus ihrem Mund drang nur ein heiseres Krächzen.
    »Nicht reden.« Schwester Doris verschwand kurz aus Annas Sichtbereich. Als sie wieder an ihrem Bett stand, betupfte sie Annas Lippen mit einem feuchten Tuch. »Wir haben Ihnen den Magen auspumpen müssen. Der eingeführte Schlauch hat Ihre Stimmbänder gereizt, deshalb sind Sie noch heiser.«
    Annas Zunge suchte gierig nach der Feuchtigkeit. Das Wasser tat gut, brannte aber in ihrem spröden Hals.
    »Sie fragen sich bestimmt, wo Sie sind, richtig?«
    Anna nickte schwach.
    »Das hier ist das Vivantes-Klinikum im Prenzlauer Berg.«
    Sie kannte das Krankenhaus. Hier hatte Anna vor gut zehn Jahren ihren Sohn zur Welt gebracht. Dieser Gedanke brachte die Erinnerung an Manuel zurück – und den Alptraum, der Anna seit Tagen gefangen hielt. Augenblicklich sehnte sie sich die Dunkelheit und das selige Unwissen, das sie bis vor Kurzem noch umgeben hatte, zurück.
Was ist passiert?
Sie röchelte panisch.
    »Und jetzt wollen Sie sicherlich wissen, was geschehen ist?«
    Offenbar hatte Schwester Doris häufiger Patienten wie sie.
    »Sie können sich an gar nichts mehr erinnern?«
    Annas Kopf hob und senkte sich.
Doch!
    »Das ist gut«, sagte die Schwester. »Manchmal gibt es nämlich Kandidaten, die sich«, sie warf Anna einen schnellen, prüfenden Blick zu, »danach an

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