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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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vergehen?«
    Hinter der Rauchwolke zeichnete sich das herablassende Lächeln des Arztes ab. »Haben Sie Beweise dafür? Oder Zeugen?«
    Kalkbrenner war sprachlos.
Wie abgebrüht kann man eigentlich sein?
    »Ich denke, ich deute Ihr Schweigen richtig.« Fugmann zog seine Manschetten zurecht und knöpfte das Jackett zu. »Nun, dann ist es wohl besser, Herr Kommissar, wenn Sie jetzt mein Haus verlassen.«

140
    »Du?« Ludwig war sichtlich erstaunt. »Wie kommst du denn hierher?«
    Tabori strahlte. »Ticket.«
    Mit einem Ruck zog ihn Ludwig in die Diele und schloss die Tür hinter ihm. »Und was willst du hier?«
    »Zu dir.«
    »Aber ich sagte dir doch, dass du hier nicht bleiben kannst.«
    »Aber … bin ruhig. Und lieb. Ich kann …«
    »Das geht nicht, Tabori, beim besten Willen nicht. Weißt du, meine Arbeit …«
    »Aber wo soll ich hin?« Aus Taboris Stimme sprach ehrliche Verzweiflung.
    »Du bleibst bei Georg. Er ist ein guter Freund von mir, und …«
    »Nein,
du
bist mein Freund.«
    »… meine Freunde sind auch deine Freunde.«
    Tabori schwieg. Das vertraute Ticken der Uhr auf dem Sideboard erfüllte die Wohnung. Die Bilder an der Wand weckten in ihm noch immer das Sehnen nach warmen, fernen Stränden. Sie hatten Tabori vom ersten Tag an verzaubert.
    »Pass mal auf«, machte Ludwig seine Träume zunichte. »Ich rufe jetzt Georg an, okay? Ich habe gerade schon mit ihm telefoniert. Er ist dir auch nicht böse wegen der 10 Euro, die du ihm geklaut hast.«
    »Hab nicht geklaut!«
    »Georg holt dich gleich bei mir ab, und ihr macht euch dann zusammen einen schönen Abend.«
    »Nein.«
    »Georg wird gut für dich sorgen.«
    »Nein!«, schrie Tabori.
    »Aber warum denn nicht?«
    »Georg will …« Aber das war unaussprechlich.
    »Georg will dir helfen«, vollendete Ludwig den Satz.
    »Aber du hast versprochen: Du willst helfen.«
    »Und? Habe ich dir nicht geholfen? Hattest du es nicht schön bei mir?«
    »Ja, schön.«
    »Siehst du. Und jetzt ist es schön bei Georg. Ist es denn zu viel verlangt, wenn du zum Dank ein bisschen nett zu ihm bist? Daran ist nichts Schlimmes, das weißt du doch inzwischen.«
    Ernüchtert ließ Tabori die Arme hängen.
    »Außerdem kannst du damit Geld verdienen. Darum geht es dir doch: Arbeiten. Geld. Für Mama.«
    Taboris Augen füllten sich mit Tränen. Mittlerweile ging es nicht nur um Geld, sondern auch um Freundschaft und um so vieles mehr. Er konnte keine Worte finden, so vieles war ihm wichtig. Es war so … Er hatte …
Eigentlich habe ich dich sogar ein bisschen mehr lieb.
    »Also, was meinst du? Soll ich Georg anrufen und ihm sagen, dass du …« Irgendwo in der Wohnung war ein Poltern zu hören. Die Tür zu Fritz’ Zimmer ging auf, und ein Junge tapste in die Diele.
    »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst dich ruhig verhalten?«, schimpfte Ludwig.
    Verlegen trat der Junge von einem Fuß auf den anderen. »Die Gitarre ist runtergefallen.«
    »Ist das Fritz?«, fragte Tabori, obwohl er bereits die Antwort kannte. Schließlich hatte er Ludwigs Sohn auf dem Foto gesehen: Der Junge, der jetzt schüchtern vor ihnen stand, war kleiner und viel jünger. Das Kapuzenshirt mit dem Berlin
-
Aufdruck schlotterte ihm am Leib.
    »Ist mein Hemd!«, sagte Tabori fassungslos.
    »Jetzt ist es meins«, erwiderte der Junge.
    »Nein, ist meins!«
    »Georg wird dir ein neues schenken«, versuchte Ludwig, ihn zu beruhigen.
    »Will aber kein Geschenk!« Tabori begann, auf Ludwig einzuprügeln. »Von niemand!«
    Ludwig riss die Tür auf und schubste Tabori mit aller Kraft ins Treppenhaus. »Dann bist du hoffentlich bald draußen.«

141
    Die Klingelschilder waren mehrfach mit Etiketten überklebt. Unleserliche Namen prangten neben unaussprechlichen. »Ja, verdammt?«, bellte aus dem zerkratzten Lautsprecher eine Stimme, an der nicht erkennbar war, ob es sich bei der Person um einen Mann oder eine Frau handelte.
    »Hier ist die Polizei«, sagte Kalkbrenner. »Wir bringen Ihren Sohn André.«
    »Was hat das Blag denn nun schon wieder ausgefressen?«
    »Bitte öffnen Sie!«
    »Der hat doch einen Schlüssel.«
    »Sofort!«
    Der Summer ging. Vollgestopfte Abfalltüten, verschimmelte Holzplanken, ein Kinderwagen mit eingerissenem Plastikbezug und ein rostendes Fahrrad türmten sich wild durcheinander im Treppenhaus. Muth und Kalkbrenner mühten sich mit dem Jungen im Schlepptau an dem Plunder vorbei. Auf den Stufen begegneten ihnen zwei Türken, die ein Monstrum von Fernseher ins Erdgeschoss

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