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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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»Sie meinen, er hätte …? Nein, unmöglich.«
    Kalkbrenner, der aus eigener Erfahrung wusste, welche Abgründe hinter den Fassaden der Menschen lauern konnten,
gab sich damit nicht zufrieden
.
»Denken Sie bitte noch einmal darüber nach.«
    »Aber wenn ich es Ihnen doch sage!« Sie schrie jetzt fast. »Unsere Ehe ist … war intakt!«
    »Die meisten Ehefrauen, die betrogen werden, sind bis zuletzt der Auffassung, ihre Ehe sei intakt gewesen«, meinte Berger sanft.
    »Aber sie ist
intakt!« Eine Träne rann jetzt ihre Wange hinab.
    Doch Berger war noch nicht fertig mit ihr. »Es tut mir sehr leid, aber ich kann Ihnen diese Frage nicht ersparen: Wo haben Sie sich während der letzten zwei Stunden aufgehalten?«
    Sie schaute Berger an, als zweifelte sie an seinem Verstand. »Wollen Sie damit andeuten, ich hätte …?« Weitere Tränen folgten. »Ich war hier. Bei meinen Kindern. Mit meiner Freundin.« Sie schluchzte, und nasse Flecken bildeten sich auf ihrem Pullover.
    Sie war einen halben Kopf kleiner als Kalkbrenner, ihr Körper von schmaler, zierlicher Statur.
Das kommt auf die Frau an
, dachte der Kommissar an die Worte seiner Kollegin zurück
.
Dennoch war es kaum vorstellbar, dass Carla Fielmeister ihren Mann mit Fausthieben hätte niederstrecken können.
    Mit einfühlsamer Stimme fragte er: »Haben Sie irgendeine Vorstellung, wer Ihren Mann getötet haben könnte?«
    Sie wischte sich die Wangen ab. Ihr Blick war wieder fest und klar. »Wissen Sie was? Ich kann mir nicht einmal vorstellen, dass mein Mann überhaupt tot ist.«

17
    Zwei Männer in Uniformen beugten sich zu Tabori und Florim hinab. An ihren Gürteln baumelten Handschellen und Pistolen. Einer der beiden Polizisten war schlank, sehr groß und erinnerte Tabori mit seiner ernsten Haltung an irgendjemanden, den er kannte. Der andere war klein und rund. Er redete mit ihnen, und es hörte sich so an, als stellte er eine Frage.
    »Was will er?«, flüsterte Tabori.
    »Ey, weiß ich doch nicht. Ich kann kein Deutsch.«
    »Bestimmt sind sie gekommen, weil sie von der Schlägerei mit Miro erfahren haben. Jetzt wollen sie wissen, ob wir Hilfe brauchen.«
    Das klang einleuchtend. »Ja, danke«, sagte Tabori tapfer.
    Verwundert kniff der dicke Polizist die Augen zusammen und zeigte raus zur Straße.
    »Ja, da.« Tabori rieb sich demonstrativ die schmerzende Wange. »Aua. Miro.«
    »Du heißt Miro und hast Zahnschmerzen?«
    »Ja. Miro. Aua.«
    Der untersetzte Beamte ging vor ihm in die Hocke. Von der ungewohnten Bewegung färbte sich sein Gesicht puterrot. »Wo sind Mama und Papa?«
    »Papa tot. Mama zu Haus.«
    »Und wo ist das? Wo steht das Haus deiner Mama?«
    »Ja, Mama zu Haus.«
    »In Berlin?«
    »Gracen.«
    »Hä?«
    »Shqiperia.«
    Der Polizist schüttelte verständnislos den Kopf. »Ihr seid also ganz alleine in Berlin?«
    »Ja, alleine. In Berlin«, bestätigte Tabori. »Arbeiten. Geld.«
    »Arbeiten? Geld? Wie alt seid ihr denn?«
    »Ja, arbeiten. Geld. Für zu Hause.«
    »Du bist doch gerade mal zwölf. Oder dreizehn.« Der Beamte richtete sich stöhnend auf. Er wechselte einige Worte mit seinem Kollegen, bevor er sich wieder den Jungen zuwandte: »Miro, komm mal mit.«
    Tabori fuchtelte aufgeregt mit den Händen. »Nein! Ich … nicht … Miro. Ich … Tabori.«
    »Na gut, meinetwegen, Tabori.« Der Beamte streckte den Arm nach ihm aus, während der andere vor Florim in die Hocke ging.
    »Was wollen die von uns?«, fragte er unsicher.
    »Weiß ich nicht.«
    »Ey, sie können doch …«
    Die Strenge in der Stimme des dicken Beamten behagte Tabori ganz und gar nicht. Auch sein großer Kollege schaute eher finster als hilfsbereit drein. Tabori kannte diesen unnachgiebigen Ausdruck – von Sorti, dem Dorfpolizisten aus Gracen. »Ich glaube, die sind gar nicht gekommen, um uns vor Miro zu schützen. Die wollen uns wegbringen.«
    »Wohin?«
    »Wo?«, fragte Tabori die Polizisten.
    »Zur Bahnhofsmission«, antwortete der untersetzte Mann, und seine Finger packten noch energischer zu.
    »Aua!«, stieß Tabori aus.
    »Nein!« Florims Schrei hallte von der hohen Bahnhofsdecke wider. Die Passanten warfen ihnen neugierige Blicke zu. Florim begann zu strampeln. Er zerkratzte dem Beamten das Gesicht, sodass der kleine Polizist von Tabori abließ und seinem Kollegen zu Hilfe eilte.
    »Tabori, hau ab!«, rief Florim.
    »Aber ich kann doch nicht …?«
    »Na los, worauf wartest du?« Wie ein Geisteskranker wand sich Florim in den Griffen der Polizisten.

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