Trieb
»Verschwinde!«
Tabori flüchtete in die Menschenmenge. Einer der Polizisten brüllte ihm noch etwas hinterher, doch Tabori hörte nur Florim, den die beiden Beamten zappelnd fortschleppten, schreien: »Verdiene für uns beide!«
Draußen schlug ihm der Frost entgegen, aber er merkte nichts davon. Wie betäubt rannte Tabori die Straßen entlang, bis ihn die Kräfte verließen und sich die Welt vor seinen Augen zu drehen begann. Mit letzter Kraft schleppte er sich in eine Bäckerei. Die Münze in die Höhe haltend verlangte er das erstbeste Gebäck. Er wusste nicht, was »Croissant« bedeutete, aber es kostete nur 35 Cent.
Zurück in der Kälte biss er gierig in das Backwerk, aber zwischen seinen Zähnen und in seinen Händen zerbröselte der luftige Teig sofort zu kleinen Krümeln. Das karge Abendessen schwebte zu Boden und vermischte sich mit Staub und Dreck.
Tabori fröstelte. Er hustete. Jetzt hätte er gerne seinen zweiten Pullover übergezogen, doch in seiner Panik hatte er bei seiner Flucht den Rucksack im Bahnhof liegen gelassen. Warum hatten die Polizisten sie wie Verbrecher behandelt? Sie wollten doch nur arbeiten und hatten Hunger. Wohin hatten sie Florim gebracht? Zu einem Zug, der zurück nach Gracen fuhr? Oder ins Gefängnis?
Taboris Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken. Er hatte ein schlechtes Gewissen, denn obwohl es Florims Wunsch gewesen war, dass Tabori fortlief, hatte er ihn doch im Stich gelassen. Er spürte, dass er Florim nicht mehr wiedersehen würde. Er hatte keinen Freund mehr, der ihm zur Seite stand. Seit dem Vorfall in der Bahnhofshalle war Tabori in der großen, fremden Stadt auf sich allein gestellt.
18
Vor dem Beisheim-Center stand ein Polo mit laufendem, knatterndem Motor. Aus dem rostigen Wagen quälte sich eine gedrungene Gestalt. »Herr Kalkbrenner, Sie hier? Also stimmt es tatsächlich, was ich gehört habe?«
»Was will der denn hier?«, wetterte Berger lauthals.
»Fragen wir ihn doch direkt.« Kalkbrenner trat auf den Reporter zu. »Also, Herr Sackowitz, was wollen Sie hier und was haben Sie gehört?«
»Dass man im
Adler
den Unternehmer Rudolph Fielmeister ermordet aufgefunden hat.«
»Und wer behauptet das?«
Der Journalist zog abschätzig die Augenbrauen hoch. »Herr Kalkbrenner, Sie wissen doch ganz genau, wie das mit den Informanten so ist.«
Bergers Handy läutete. Mit einigen Schritten vergrößerte er die Distanz zu Sackowitz. Während er sich das Mobiltelefon zwischen Schulter und Kinn klemmte, machte er einige unleserliche Einträge in seinen Notizblock.
»Und?«, bedrängte Sackowitz unterdessen Kalkbrenner. »Stimmt es nun? Ist Rudolph Fielmeister ermordet worden?«
Kalkbrenner seufzte ergeben.
»Also doch. Aber was hatte er im
Adler
zu suchen? Hatte er eine Affäre?«
»Herr Sackowitz, ich …«, stöhnte Kalkbrenner genervt.
»Haben Sie bereits einen Verdächtigen?«
»Sie wissen doch, wie das mit der Polizeiarbeit so ist.«
Sackowitz grinste gequält. »Jetzt kommen Sie schon, Herr Kalkbrenner, nur ein klitzekleiner Hinweis.«
»Na gut«, erbarmte sich Kalkbrenner. »Aber nur ein einziger. Und nur für Sie, ganz exklusiv, haben Sie mich verstanden?«
»Natürlich«, strahlte der Reporter.
»Also«, Kalkbrenner senkte verschwörerisch die Stimme, »mit so einem Riss in der Hose könnte es im Winter richtig kalt werden.«
»Nur damit Sie’s wissen: Die kaputte Hose habe ich Ihnen zu verdanken.« Sackowitz funkelte ihn böse an.
»Mir?«
»Ja, weil Sie mich vorhin nicht gehört haben, drüben vor dem Hotel.«
»Ach, Sie waren das? Gehört habe ich Sie schon, aber nicht gesehen.«
»Nun, ich bin gestürzt.«
Kalkbrenner unterdrückte ein Grinsen. »Das tut mir aber leid.«
»Glaub ich Ihnen aufs Wort.« Wutschnaubend tigerte der Journalist zurück zu seiner Rostlaube. Als er Berger passierte, blieb er kurz stehen. Kalkbrenner hörte seinen Kollegen »Ja« und »Aha« in sein Handy brummen, bevor er sagte: »Sera, schick bitte Beamte hin.« Damit legte Berger auf und blickte in die gespannten Augen des Medienmannes.
»Einen schönen Abend noch, Herr Sackowitz«, verabschiedete sich Berger betont freundlich und öffnete die Zentralverriegelung seines Wagens. Als auch Kalkbrenner einstieg, fand er es im Inneren lausig kalt. Auf der Frontscheibe hatte sich bereits eine hauchdünne Eisschicht gebildet. Gemeinsam beobachteten die Beamten, wie Sackowitz missmutig in seinem rostigen Polo davonbrauste.
Kalkbrenner wartete darauf, dass
Weitere Kostenlose Bücher