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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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du?«
    Aidan überragte Tabori um einen halben Kopf. Er hatte zottelige Haare, die schon lange keine Schere, geschweige denn Shampoo mehr gesehen hatten. Sein Mantel war ramponiert, und statt Schnürsenkel hielten bunte Tücher seine Stiefel zusammen. Nur sein Rucksack schien neu zu sein. »Jetzt sag schon: Wie heißt du?«
    »Tabori.«
    »Also, Tabori, was ist los?«
    Er überwand sich und zeigte Aidan das Foto. »Hast du meinen Cousin gesehen?«
    »Ist er in Berlin?«
    »Ja. Er …«
    »… arbeitet hier«, nahm Aidan ihm die Worte aus dem Mund. »Er verdient Geld, richtig? Und du willst auch Geld verdienen?«
    Da die Frage in Tabori eine ungute Erinnerung weckte, hielt er den Mund.
    »Aber warum hast du dann das Geld von dem Mann nicht genommen?«
    »Darum nicht.«
    Aidan machte ein verständnisloses Gesicht. »Komm mit!«, forderte er Tabori auf.
    Der erinnerte sich, dass auch Miro so getan hatte, als wolle er ihnen helfen, bevor er auf sie losgegangen war.
    »Nun komm schon.«
    »Wohin willst du?«, wollte Tabori wissen.
    »Ins Warme. Was essen.«
    Tabori rührte sich nicht vom Fleck.
    »Was ist? Hast du keinen Hunger?«
    »Doch, aber ich habe kein Geld.«
    »Ich weiß«, sagte Aidan. »Aber das ist egal.«
    13   Haben Sie meinen Cousin gesehen?
    14   Haben Sie mich verstanden?
    15   Und Sie haben meinen Cousin gesehen?
    16   Wo ist er?

21
    Ein Donnerschlag riss Paul Kalkbrenner aus dem Schlaf. In das Nachbeben mischte sich unüberhörbar das Klingeln eines Handys. Stöhnend rieb er sich die Augen. Was war Traum, was Wirklichkeit? Neben ihm hob Bernie knurrend die Lefzen. »Hast du den Donner auch gehört?«
    Als Kalkbrenner auf das Display seines Handys schaute, sagte ihm die Nummer nichts. »Ja, bitte?«
    »Guten Morgen, ich bin Milena. Ich rufe wegen der Kleinanzeige in der
Zitty
an.«
    »Welcher Kleinanzeige?«
    »Die wegen Ihrem Hund. Sie suchen doch einen Babysitter.«
    Ach, die Anzeige!
Kalkbrenner hatte die Annonce längst vergessen, weil sich wochenlang niemand darauf gemeldet hatte – bis heute. Ein weiterer Knall erschütterte die Wohnung. Der Boden unter Kalkbrenner vibrierte, die Wände wackelten, das Fensterglas klirrte, und der Bernhardiner kläffte.
    »Ist er das?«, fragte das Mädchen etwas verunsichert. »Er ist aber nicht böse, oder?«
    »Nein, nein«, tat Kalkbrenner die Befürchtung ab. »Bernie ist ein ganz Lieber.« Als er sich aus dem Schlafsack schälte, knackte seine Wirbelsäule, und ein stechender Schmerz kroch ihm den Nacken hinauf. Die Isomatte auf den Holzdielen hatte sich als ein schlechter Matratzenersatz erwiesen. »Milena, wie alt bist du?«
    »Vierzehn. Aber ich kenne Hunde. Meine Oma hat einen Dackel.«
    »Bernie ist ein Bernhardiner.«
    »Ich weiß, das stand ja in der Anzeige.«
    »Du müsstest jeden Mittag mit ihm raus, etwa zwei Stunden. Wären 10 Euro dafür in Ordnung?«
    »Zwanzig.«
    »Na, hör mal, das ist aber …«
    »Dafür bürste ich ihn auch.«
    Das wiederum ist ein sehr verlockendes Angebot.
»Einverstanden. Geht es heute schon?«
    Das Mädchen willigte ein. Kalkbrenner gab ihr seine Adresse durch, und sie verabredeten sich für mittags. Er trat ans Fenster. Ein Flugzeug hinterließ gerade einen weißen Kerosinstreifen am frostig klaren Himmel, das Donnern, auf das er jetzt horchte, wiederholte sich nicht. Wahrscheinlich hatten nur zwei Flieger die Schallmauer durchbrochen.
    Kalkbrenner kramte seine Laufschuhe und die Sportklamotten aus den Kartons und machte sich mit Bernie in den Park zum Joggen auf. Eine schweißtreibende Runde später hatten sich die Verspannungen im Rückenbereich gelöst, und die Kopfschmerzen, die sich angebahnt hatten, waren wie weggeblasen. Noch im Laufdress marschierte Kalkbrenner zum nahe gelegenen
Park Center
, in dessen Supermarkt er Hundefutter, Milch, Aufschnitt und Brot in den Einkaufswagen packte.
    Das Handy rumorte erneut. Diesmal war es Rita Barnitzke, Kalkbrenners Sekretärin. »Bist du schon auf dem Weg zum Präsidium?«, fragte sie, ohne sich mit Begrüßungsfloskeln aufzuhalten.
    »Nein, in Gang drei.«
    »Wo?«
    »Bei den Saucen und Aufläufen. Und jetzt passiere ich linker Hand gleich den Sahnemeerrettich.«
    »Paul, ich habe wirklich keine Ahnung, was …«
    »Aber Rita, Sahnemeerrettich ist unbedingte Pflicht bei einem guten Frühstück.« Am anderen Ende der Leitung wurde aggressiv mit Geschirr geklappert. »Und natürlich Kaffee.«
    Er fügte seinen Einkäufen eine Tube Sahnemeerrettich und

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