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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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Muskelpaketen zweier Hünen zusammengequetscht. Der Anführer hatte es sich auf dem Beifahrersitz bequem gemacht.
    »Ich kenne dich«, schnaufte der Reporter unter Anstrengung.
    Der Junge entblößte zwei Reihen weißer, regelmäßiger Zähne. »Ach ja? Da bist du nicht der Einzige.«
    »Wer bist du?«
    »Wie? Ich dachte, du kennst mich?«
    Wie in einem Film rauschte die Stadt an Sackowitz vorbei. Vertraut und zum Greifen nahe, doch in der Situation, in der er sich gerade befand, unerreichbar fern. Das
Alexa.
Der Mühlendamm. An der Kreuzung bog der Wagen nach links in Richtung Kreuzberg ab. »Was wollt ihr von mir?«
    »Du hast den Bericht über Alpa geschrieben.«
    »Alpa?«
    »Hey, Reporter, kannst du dich an gar nichts mehr erinnern? Der Elternmörder von Neukölln.«
    Sackowitz fielen die Worte seiner eigenen Schlagzeile wieder ein. »Ach ja, was ist mit ihm?«
    Der Glatzkopf grinste vieldeutig, verfiel aber für den Rest der Fahrt in Schweigen.
    Der türkischstämmige Alpa Kaan, fünfundzwanzig Jahre alt, Einser-Abiturient, hoffnungsvoller Student der Physik, Beispiel mustergültiger Integration, hatte eines Nachts seine schlafenden Eltern erstochen. In der nächsten Woche würde das Verfahren gegen ihn beginnen. Aber was sollte die tragische Geschichte mit seiner Entführung zu tun haben? Mit jedem Kilometer, den er gezwungenermaßen in dem Wagen zurücklegte, wuchs Sackowitz’ Sorge.
    Die Limousine glitt durch Kreuzberg, bog am Hermannplatz nach Neukölln ab. Im Westen lag Tempelhof. Während des Krieges war der Stadtteil zum Großteil zerstört und danach mit eiliger Willkür neu aufgebaut worden, was man ihm noch heute ansah. Die Industrieanlagen und die unzähligen wahllos zusammengewürfelten Ein- und Mehrfamilienhäuser glichen unansehnlichen Überresten längst vergangener Aufschwungjahre. Mit der Entscheidung für die Stilllegung des Flughafens, der zu gleichen Teilen erdrückendes Mahnmal einer Diktatur und pompöses Zeugnis der Freiheit gewesen war, hatte der Senat den Stadtteil Tempelhof nun auch noch seiner einzigen wirklichen Attraktion beraubt.
    In Neukölln stoppte der Wagen am hinteren Ende einer engen Straße. »Aussteigen!«, kommandierte der Anführer.
    Von den Jugendlichen wurde Sackowitz in einen schmalen Altbau bugsiert. Eine unansehnliche Holztür wurde auf ihr Klopfen hin geöffnet. Die Wohnung, die wahllos mit Billigmöbeln eingerichtet war, wirkte wie ein Notbehelf. Einzig der Geruch nach Kräutertee und Duftkerzen ließ eine Ahnung von Behaglichkeit aufkommen.
    Bei ihrem Eintreten hatte sich im Wohnzimmer eine kleine, zierliche Frau vom goldbestickten Sofa erhoben. Ihr Haar trug sie modisch kurz geschnitten. »Willkommen, Herr Sackowitz. Vielen Dank, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind.«
    »Eine Einladung
sieht für mich aber anders aus.«
    Sie lächelte mitfühlend. »Wahrscheinlich haben Sie recht. Öndar kann manchmal ein bisschen stürmisch sein. Aber er liebt Alpa eben über alles.«
    »Hey, Reporter.« Öndar spreizte Zeige- und Mittelfinger zu einem V, dem Victory-Zeichen. »Nicht böse sein.«
    »Jetzt weiß ich es wieder. Du bist Öndar Ucatekin«, fiel Sackowitz ein.
    Der Jugendliche hatte vor geraumer Zeit vor Gericht gestanden. Als mutmaßliches Oberhaupt einer Neuköllner Straßenbande hatte er sich wegen Körperverletzung, Drogenhandel und Waffenbesitz verantworten müssen. Weil er keine deutsche Staatsbürgerschaft besaß, hatten ihn die Behörden abschieben wollen, doch seinem Anwalt war der überraschende Coup gelungen, Öndar davor zu bewahren. Der Presse hatte er später schlagzeilenträchtig erklärt: »Abschieben, wieso? Ich bin in Neukölln aufgewachsen. Ich bin hier zu Hause. Das ist mein Viertel.«
    Die Frau gab ihm ein Zeichen, und Öndar verließ überraschend folgsam den Raum. »Setzen Sie sich doch. Möchten Sie etwas trinken?«
    In Schalen platzierte sie dampfenden Tee auf dem Glastisch, nahm dann Sackowitz gegenüber auf dem Sofa Platz und faltete die Hände. »Sie fragen sich bestimmt, wer ich bin?«
    »Alpas Schwester?«, sprach der Reporter seine Vermutung aus.
    »Da haben Sie recht, ich bin Celil Kaan.«
    Er entspannte sich ein wenig. »Was wollen Sie von mir?«
    »Zuerst einmal möchte ich wissen, ob Sie über das Verfahren gegen Alpa berichten werden?«
    »Ja, das ist mein Plan.«
    »Dann möchte ich, dass Ihre Berichterstattung fair sein wird.«
    Sackowitz setzte zur Antwort an, doch Celil Kaan kam ihm zuvor. »Wie viel wissen Sie eigentlich

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