Trieb
türkische Frau sowieso. Und als türkische Polizeibeamtin ganz besonders.«
»Kann ich verstehen«, warf Kalkbrenner ein.
»Nimm es mir nicht übel, Paul, aber ich glaube nicht, dass du das wirklich kannst. Niemand, der sich nicht selbst jeden Tag durchkämpfen muss, kann das.«
Kalkbrenner wollte zunächst widersprechen, schließlich hatte er doch im Zuge verschiedener Ermittlungen wiederholt Einblick in das Leben der unterschiedlichsten Berliner Nationalitäten, Kulturen und Subkulturen erhalten. Zuletzt während des Lehrermordfalls, als er mit zwei Schülern als Tatverdächtigen zu tun gehabt hatte – einer aus Rumänien, einer aus der Türkei. Die Zusammenarbeit mit den Familien, Freunden und dem Umfeld im Kiez hatte sich als eine zähe Angelegenheit herausgestellt. Er war auf frustrierte, verärgerte, wütende und längst in sich abgeschlossene Gemeinschaften getroffen, deren Zusammenleben oft nach Regeln funktionierte, die mit dem, was Kalkbrenner als Deutscher kannte, wenig gemein gehabt hatten. Gegen Eindringlinge schotteten sie sich dementsprechend ab, und erst recht gegen die Polizei. Dort, wo sie ursprünglich herkamen, vertraute man der Polizei nur in den seltensten Fällen.
In Gedanken musste Kalkbrenner also seiner Kollegin zustimmen. Er hatte tatsächlich nur an der Oberfläche gekratzt. In Wahrheit hatte er keine Ahnung, was diese Menschen bewegte. Er konnte Sera Muth also tatsächlich nicht verstehen.
Manchmal begriff er ja noch nicht einmal seine eigene Situation. Kurzentschlossen rief er auf dem Handy die Nummer seiner Tochter auf, brachte es dann aber nicht über sich, die Wähltaste zu betätigen. Er wollte Jessy nicht noch mehr auf die Nerven gehen, als er es wahrscheinlich ohnehin schon tat. Bedrückt schob er das Mobiltelefon zurück in seine Manteltasche.
Im Dienstwagen überquerten sie die Friedrichstraße hin zur Leipziger Straße, dann kam der Potsdamer Platz in Sicht. Sie parkten vor dem Beisheim-Center. Als sie in dessen Lobby traten und der Doorman sie erkannte, hob er genervt eine Augenbraue. »Sie schon wieder?«
»Genau, ich schon wieder. Zu Frau Fielmeister, bitte.«
»Sind Sie dieses Mal angemeldet?«
Kalkbrenner beugte sich über den Glastresen. »Nicht reden, sondern handeln.«
32
Vor der Restauranttheke fragte Aidan: »Was soll ich dir bestellen?«
»Nichts«, sagte Tabori. »Ich möchte das selbst machen.«
Er nahm den Pappbecher, in dem bis vor wenigen Minuten noch heiße Schokolade gedampft hatte.
Kakao
hatte Aidan das Getränk genannt. Jetzt war er bis zum Rand mit Münzen gefüllt – 15 Euro und 11 Cent, er hatte nachgezählt. Das war zwar nicht ganz so viel, wie Aidan eingenommen hatte, aber für Taboris Verhältnisse dennoch ein kleines Vermögen.
Die Leuchttafel über dem Tresen war genauso bunt wie die in dem großen M, wo sie am späten Morgen gegessen hatten, doch hier wirkten die Burger größer und fleischiger. Was irgendwie auch Sinn machte, dachte Tabori, denn dieses Restaurant nannte sich
Burger King.
Laut Aidan bedeutete »King« König, also waren sie hier beim König der Burger.
»Ein Cheeseburger«, wählte Tabori. »Pommes. Cola. Bitte schön.«
Mehr noch als das eigenständige Bestellen genoss Tabori das Abzählen der Münzen. Er hatte sich das Geld eigenhändig verdient, sodass er sein eigenes Essen bezahlen konnte. Er war unglaublich stolz.
Gestern Abend noch hatte er sich in dem Unterschlupf auf der Baustelle vor lauter Verzweiflung nach Hause gewünscht. Nur die Vorstellung der Schande, die er empfinden würde, wenn er ohne einen Cent heimkehrte, hatte ihn davon abgehalten, sich tatsächlich in den Zug zu setzen. Jetzt aber fühlte er sich wie ein König. Ein
Mbret.
Als er mit dem Tablett inmitten der Kinder und Jugendlichen, der Erwachsenen und der Familien an einem Tisch saß, kam er sich vor wie ein Teil von ihnen. Sogar verstehen konnte er sie. Natürlich nicht, was genau sie erzählten, aber das eine oder andere Wort, das er aufschnappte, kannte er bereits. Die beiden bierbäuchigen Männer am Nebentisch unterhielten sich beispielsweise über Autos. Und das kleine Mädchen weiter hinten beklagte sich, weil sie noch ein Eis wollte. Die Antwort der Mutter blieb Tabori jedoch unklar.
»Die Mutter sagt, sie darf kein Eis mehr essen, weil sie einen Termin haben«, übersetzte Aidan, als er merkte, dass Tabori angestrengt zu den beiden hinüberschaute.
»Sie haben nicht einmal aufgegessen.«
»Sie haben keine Zeit
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