Trieb
mehr.«
»Aber das hat doch Geld gekostet!«
»Das ist egal. Geld haben die Leute hier genug. Sie haben alles, was man sich nur vorstellen kann. Nur eben keine Zeit.«
Tabori vergrub die Zähne in seinem Cheeseburger und kaute andächtig. »Zu Hause kam es mir immer so vor, als würde die Zeit niemals vergehen.«
»Hier ist alles anders.« Aidan schlürfte Cola und rülpste. »Aber daran wirst du dich bald gewöhnen.«
Tabori war sich nicht sicher, ob er das wirklich wollte. Ebenso wenig wusste er, was besser war: Armut und Hunger, dafür aber viel Zeit, so wie daheim in seinem Dorf, oder alles, was man sich wünschte, aber keine Zeit zu haben, um es zu genießen.
»Wie viel Geld hast du noch?«, fragte Aidan.
Tabori hatte etwas mehr als 5 Euro für das Essen bezahlt und legte das Restgeld auf den Tisch. »Noch fast 10 Euro.«
Aidan zählte einige Münzen ab. »Das ist für mein Essen und für meinen alten Wischer. Der Rest wird reichen.«
»Wofür?«
»Für deine neue Ausrüstung.«
Draußen hatte sich der Himmel immer stärker zugezogen, und Schneeflocken wirbelten herab. Aidan winkte Tabori mitzukommen und lief in den nächsten Supermarkt. Während sie an den Regalen entlanggingen, setzte Aidan den Deutschunterricht fort und erklärte:
Handtuch
,
Parfüm
,
Rasierer.
Dann drückte er Tabori Schwamm, Abzieher und einen billigen Rucksack in die Hand. Damit schrumpfte dessen Geldvorrat zwar auf eine klägliche Summe zusammen, aber es war eine gute Investition, die sich in den nächsten Tagen mit Sicherheit auszahlen würde.
Tabori verstaute die Utensilien im Rucksack und wandte sich vor dem Geschäft in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
»Hey, wohin willst du?«, wollte Aidan wissen.
»Arbeiten. Ich habe kein Geld mehr.«
»Für heute reicht es.«
»Und was hast du vor?«
»Weiß nicht. Vielleicht ein bisschen Spaß haben?«
33
»Lübecker Hochzeitssuppe, Hühnernudeltopf, Tomatensuppe, Gemüsesauce, Heiße Tasse, Fertiggerichte wie Rinderroulade mit Spätzle, Schweinebraten in würziger Sauce, Hühnerfrikassee und Schwedische Hackbällchen. Reicht das?« Mit zittrigen Händen angelte sich Carla Fielmeister eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Tisch. Heute trug sie, dem Tod ihres Mannes angemessen, ein schwarzes Kostüm.
»Meine Frage zielte eigentlich auf etwas anderes ab«, sagte Kalkbrenner.
»Sie wollen wissen, was ich über die internen Abläufe bei Fielmeisters
weiß? Zu wenig. Für meinen Mann war die Firma Firma und die Familie Familie. Zu Hause wälzte er keine beruflichen Probleme.«
»Aber es gab berufliche Probleme?«
»Herrgott, ja.« Sie öffnete die Tür zum Balkon, und Schneeflocken tänzelten auf das Parkett, wo sie sofort zerflossen. Carla Fielmeister entzündete die Zigarette und inhalierte tief. »Aber er war von der Sorte Mensch, die Probleme lieber im Stillen regelt. Unter vier Augen, verstehen Sie? Er mochte es nicht, solche Dinge an die große Glocke zu hängen.«
»Ehefrau und Familie waren für ihn also die große Glocke?«
»Nein, natürlich nicht. Aber mein Mann war viel beschäftigt, häufig auf Geschäftsreise, und ich für meinen Teil leite eine erfolgreiche Modekette … Aber das wissen Sie ja sicherlich schon alles. Jedenfalls wollte mein Mann die wenige Zeit, die wir miteinander verbrachten, nicht noch mit Gesprächen über unsere Arbeit vergeuden.«
»Und Sie? Sie scheinen nicht allzu glücklich damit gewesen zu sein?«, bemerkte Muth.
Carla Fielmeister pustete Zigarettenqualm in den ergrauenden Tag hinaus. »Im Gegenteil. Ich war seiner Auffassung.«
Obwohl die Antwort wenig überzeugend klang, ließen es die beiden Beamten dabei bewenden. Außerdem machte sich Kalkbrenners Handy bemerkbar. Ein Blick auf das Display zeigte ihm, dass es Rita war, die sich meldete. Er drückte den Anruf weg. »Es muss Ihrem Mann schwergefallen sein, als er einen Teil der Belegschaft vor fünf Monaten entlassen musste.«
»Natürlich, was denken Sie denn! Er war doch keine gefühllose Maschine. Die Sache wühlte ihn mächtig auf, beschäftigte ihn wochenlang. Schließlich handelte es sich um die Firma seines Vaters und seines Großvaters. So ein Betrieb ist immer auch mit Tradition und Verpflichtungen verbunden. Einige der Mitarbeiter kannte mein Mann von Kindesbeinen an. Trotzdem hat er sich nicht zu mir an den Tisch gesetzt und geklagt, wenn Sie darauf hinauswollen. Manchmal wünschte ich, er hätte es getan …« Wieder zog sie an der Zigarette.
Weitere Kostenlose Bücher