Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
unterbrechen. Aber ich liege falsch, gehörig falsch. Kurz darauf wird er telefonieren und sie warten lassen, nein, noch dreister, er verlässt den Tisch, um draußen weiter zu plaudern. Und wieder ersäuft keiner den anderen. Was für einen Abstieg die Liebe hinter sich hat. Früher stürzten sich die einen vor Schmerz aus dem Turmfenster, während die anderen zum Duell ritten, um die Schöne dem Nebenbuhler zu entreißen. Bei Gott keine besseren Zeiten damals, aber inniger, lebendiger allemal.
So deprimierend solche Bilder sind, so erhellend sind sie. Diese Blasiertheit! Immerhin Lippen und Zungen berühren, sie genießen! Nein, nur zwei talking heads sitzen hier, en vogue, von der Stange. Wäre ich König von Frankreich, ich würde ihnen eine Stunde Meditation verordnen. Als Fluchtweg aus so viel Leere.
Die 11-Uhr-Glocke befreit. Ich war nicht schlecht, ich vermute, dass ich in den drei letzten Stunden drei Minuten lang voll innerer Achtsamkeit im Raum saß. Den Rest vertrödelte ich in der Welt. In Los Angeles, in Schlächter-Filmen, in der französischen Hauptstadt, in Galizien, in einem afrikanischen Bürgerkrieg, in einer Schlucht in Griechenland, in anderer Leute Nasen, beim Boxen, in einer Todeszelle der deutschen Wehrmacht, bei einem Liebespaar, das ein Liebespaar spielt. Erstaunlich, wie ich meine eigene Zeit ruiniere. Statt entschlossen näher an jene »onepointedness«, jene Einpunkt-Konzentration , ranzukommen, tat ich genau das, was alle tun, wenn sie den eigenen Anforderungen nicht standhalten: Ich kritisierte. Damit ich löblicher dastehe, prächtiger. Folglich nicht den Schmerz aushalten muss, augenblicklich als Niete unterwegs zu sein.
Nach dem Essen umrunde ich die Gemüsefelder. Nur der bedeckte Winterhimmel über uns. Wie passend. Andere wandern auch. Kein Blick füreinander, kein Wort. Beim Gehen soll es sein wie beim Sitzen. Sich ganz hingeben, bei sich bleiben. Nicht darüber nachdenken, was für ein Mann – der vor mir und der da drüben – das wohl sein könnte. (Die Frauen schlendern woanders.) Wäre nur nutzloser, sinnloser Zeitvertreib. Der nie zu einem Ergebnis führt. Erheiternd jedoch der Anblick der meisten Inder. Sie sind das einzige Volk, das den Schal vertikal um den Kopf bindet, wenn es kalt wird. Sie sehen aus wie eine Witzfigur in einem Cartoon, die Zahnweh hat.
Aber natürlich nimmt man die Schatten wahr, die Umrisse, die Profile. Ganz alte krumme Männchen, ganz junge biegsame Burschen darunter. Und natürlich kann ich es nicht lassen. Ich träume davon, dass wir uns jetzt auf die Wiese neben die Mauer setzen, da wo die Bougainvillea blühen – nicht umsonst gehören sie zur Gruppe der Wunderblumen-Gewächse –, und einer nach dem anderen erzählt mir seine Geschichte. Warum er in Not ist und warum er hierher kam. Zu Vipassana. Und jemand bringt Chai und Harisingh rückt meinen Laptop heraus. Damit kein Gedanke verloren geht.
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Um 13 Uhr wieder in der Dhamma Hall antreten. Vier Stunden Meditation stehen bevor. Das Herz will einem stocken bei dem Gedanken. Als ich endlich sitze, fällt mir eine Radiomeldung ein, die ich vor Tagen gehört habe. Sie betraf die apokalyptischen Waldbrände in Australien. Und wie jemand lichterloh verbrannte, weil er den Autoschlüssel nicht fand, um der Feuerwalze zu entkommen. Den Schlüssel wohl vor zwei Stunden oder am Vortag irgendwo »unbewusst« hinlegt hatte, irgendwo im Haus. Während er ihn losließ, war er im Kopf bereits woanders. Vielleicht beim Hören der Nachrichten über die Feuersbrunst. Jeder von uns, absolut jeder, kennt das, hat es bereits erlebt. Die Unachtsamkeit mit Folgen. Nur hatten wir alle Glück, keine Naturkatastrophe kam anschließend über uns. Der (australische) Glücklose wird nie wissen, dass Vipassana Leben retten kann.
Seltsam, sofort geht es mir besser. Das klingt taktlos, aber so ist es. Die Story spornt an, sie ist sinnstiftend. Denn das dramatische Beispiel beweist: Ob Schlüssel deponieren, ob Ski springen, ob einen Tisch zimmern, ob jemandem in die Augen blicken. Ausschließlichkeit klingt ungemein sexy. Wer dazu fähig ist, wird sogleich erkannt. Er ist anders. Er führt das intensivste Leben, denn er hat dessen Einmaligkeit begriffen, dessen rabiate Vergänglichkeit. Er verschenkt keine Sekunde, er ist in jeder vorhanden. Wir nicht, wir führen uns auf, als lebten wir ewig.
Nehmen wir ein ganz einfaches Beispiel. Wir bitten jemanden um ein Gespräch. Weil uns
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