Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Und doch fand eine Art Wunderheilung statt, in knapp drei Tagen war ich zurück im Dojo, der Meditationshalle. Im Topform. Erst später hatte ich verstanden: Die Rosskur sollte an meine Selbstheilungskräfte appellieren. Zen und Vipassana kümmern sich nicht um übernatürliche Kräfte, sie wollen nur jeden dazu antreiben, sein eigenes (ungeahntes) Vermögen zu finden, jenes gewaltige Reservoir. Damit er es ausbeutet.
Um 17 Uhr läutet die Glocke, auch vier Stunden hören irgendwann auf. Aufruf zum »Teabreak«, dem Abendessen. Manche erheben sich, als hätten sie in Ketten gelegen. So anstrengend scheint es, sich wieder aufzustellen. Erst gebückt, erst wankend und krumm, erst dann wieder mit funktionsfähigen Beinen. Rüber zur Dining Hall . Das abendliche »Menü« wird sich bis zum Ende nicht ändern: Tee und gebackene Reiskörner. Ich schließe die Augen vor Dankbarkeit. Auf einer Bank sitzen und drei Tassen indischen Chai trinken dürfen, ist das Glück. Ich bin, so chaotisch der Nachmittag war, »vorhanden«, auf zufriedene Weise erschöpft.
Blick auf Harisingh, der auf einer Bank vor mir sitzt. Er meditiert mit uns. Er darf, er muss reden. Damit der Betrieb läuft. Er verwaltet auch die Gegenstände, die wir abgegeben haben. Wieder wärmt mir seine Nähe das Herz. Ich schaue ihn mir an wie einen, der als Vorbild dienen könnte. Für meine eigenen alten Tage. Harisingh hadert nicht mehr, seine Anwesenheit strahlt Umsicht aus. Alte indische Männer sind ein Geschenk an die Welt.
Um 18 Uhr tönt erneut die Glocke, zurück zur Dhamma Hall . Wieder steht nichts anderes an, als sich auf ein Kissen zu setzen und den Atem zu beobachten. Und wir schlurfen darauf zu, als würden wir nach Sibirien verladen. Aber überraschenderweise beschwingt mich die Stunde. Ich mag Disziplin, sie hilft beim Aufräumen eines zerrissenen Lebens. Sie dient als roter Faden, um aus Widersprüchen herauszufinden. Oder zumindest, um den Kopf über Wasser zu halten und nicht unterzugehen. Sie ist ein Werkzeug, das jedem, der es beherrscht, Vertrauen einflößt. Dank ihr scheint gewiss, dass man über etwas verfügt, das von außen ganz unabhängig ist: eine Kraft, die einen nicht loslässt. Disziplin ist ein gräuliches Wort, wenn andere es einem einbläuen. Sie endet im Kadavergehorsam. Disziplin strahlt, wenn man sich aus freien Stücken für sie entscheidet. Wie hier. Vipassana fordert heraus, und wer die Herausforderung nicht annehmen will, darf verschwinden. Sobald es ihm beliebt.
Ja, es geht noch einen Schritt weiter. Vipassana fördert gleichzeitig einen rebellischen Geist. Nichts soll geglaubt, alles soll hinterfragt werden. Es macht taub gegen den Sirenengesang der Religionen. Es pocht auf kein Glaubensbekenntnis, im Gegenteil, es will zur Suche nach Wissen verführen, ja noch revolutionärer: Wer keine Antworten findet auf »letzte« Fragen, soll auszuhalten lernen, dass er keine findet.
Um 19 Uhr werden wir Ausländer aufgefordert, uns in die Mini Dhamma Hall zu begeben. (Die Inder bleiben in der großen Halle.) Um den day one discourse von S. N. Goenka via DVD zu hören. Auf Englisch. (Die anderen hören ihn auf Hindi.) Auch diese »Reden« werden täglicher Bestandteil des Kurses sein, immer zur selben Zeit. Wir sitzen in einem nüchternen Raum, vielleicht fünf mal acht Meter, am Boden liegen Decken und Kissen. Man darf sich lümmeln und den Rücken an die Wand lehnen. Eine schwache Birne brennt, Harisingh schaltet das Gerät ein und das friedliche Gesicht eines heute 85-jährigen Mannes erscheint.
Goenka wurde 1924 als Sohn einer indischen, konservativen Hindufamilie geboren, in Myanmar, dem früheren Birma. Er machte Karriere als Geschäftsmann, sein Leben boomte, allerdings veranlassten ihn wüste Migräneattacken, sich auf die Suche nach Heilung zu begeben. Er begegnete Sayagyi U Ba Khin, einem (hohen) burmesischen Beamten, der nebenbei als Vipassana-Lehrer unterrichtete. Der Birmane galt – so will es die Legende – als Bewahrer der »reinen« Meditationstechnik, jener Form, die Buddha praktiziert hatte. Wie dem auch sei, Sayagyi war auch deshalb bekannt, weil er im Staatssumpf der Korruption nicht versank, sondern unbestechlich blieb.
Die Begegnung änderte Goenkas Leben, durch die Meditation verschwanden auch seine Kopfschmerzen. Er distanzierte sich vom Hinduismus, wurde selbst Lehrer und zog nach knapp fünfzehn Jahren steter Praxis nach Indien, um hier in einem Land, in dem mehr Götter und Göttinnen als
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