Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
unterwegs ist. Coelho ist das unübertreffliche Beispiel für diesen bigotten Schmonzes, diese Predigten über den »Durst nach höchster Wahrheit«. Wetering jedoch, damals 26, war ganz von dieser Welt, frech, dreist, intelligent, voller disparater Ansprüche. Er liebte Reisen, Mädchen, Alkohol. Und sein Motorrad. Und Stille, Klarheit, er »wollte Antworten«. So naiv war er. Und natürlich traf ihn dasselbe Los wie uns alle, die zu meditieren anfangen. Er wollte nicht »hier« sein, sondern woanders. Sein Fluchtauto war seine Honda. Er vergaß ein paar hundert Mal das Zählen des Atmens, weil er sich – im Geiste – auf die schwere Maschine schwang, den Sound genoss, das Zittern beim Gasgeben und Durchstarten.
Ich habe kein Motorrad (mehr), nur ein Fahrrad, das ich liebe, das mich aber augenblicklich zu keinen Höhenflügen inspiriert. Ich tue das, was viele Männer hier gerade tun (am 10. Tag werden sie es mir erzählen): Ich denke an Sex, an Frauenhaut, an Körperpositionen, bei denen keine Knie um Hilfe schreien, denke an das warme Flüstern und Atmen, genieße den Trost, den die Schönheit einer Frau in ein Männerleben bringen kann.
Ist das jetzt ein »sexueller Fehlgriff«, habe ich jetzt gegen Grundregel Nummer 3 verstoßen? Und wäre es nur in Gedanken? Ich weiß es nicht, auch bedeutungslos. Ich weiß nur, dass das Denken an Eros ohne jede Anstrengung gelingt. Nichts existiert mehr in der Welt, nur dieser Drang nach Wonne und Wärme. Er überschwemmt den Träumer, er geht unter in ihm.
Bis das Wort »Andreas« zu mir durchdringt. Ich aber nicht reagiere, weil ich glaube, mich verhört zu haben, nicht wüsste, wer hier nach mir rufen sollte. Aber dann doch die Augen öffne, weil jemand meine rechte Schulter berührt, ein Helfer, der nach vorne weist, zum Kursleiter. Ich gehe benommen ein paar Schritte, setze mich. Und der rührige Mister Singh mit der wunderlich brüchigen Stimme eines 80-Jährigen fragt mich, was er jeden fragt: Ob ich mich auf meine Nase konzentrieren kann und ob es Schwierigkeiten bei der Meditation gebe. Und natürlich sage ich (hier ist das Silentium aufgehoben): »No problem, everything’s fine.« Nie brächte ich es übers Herz, dem Guruji jetzt eiskalt die Wahrheit zu beichten. Dass ich die Nase schon längere Zeit aus den Augen, aus dem Sinn verloren hatte und gerade im Bett war mit jemandem, der mich Lichtjahre mehr faszinierte als dieser unsinnliche Körperteil in meinem Gesicht. Ok, jetzt habe ich Vorsatz Nummer 2 gebrochen: Du sollst nicht lügen!
Singh tut, als glaubte er alles, sagt: »Good, let’s meditate together.« Und wir beide richten unsere Rücken gerade und meditieren. Bis ich nach ein paar Minuten entlassen bin und auf meinen Platz zurückkehre. Der nächste kommt an die Reihe. Was hier geschieht, ist eher typisch. So ähnlich verliefen die Begegnungen zwischen Meister und Schüler auch in Japan. Ob Zen oder Vipassana – beide ähneln sich in vielen Aspekten –, grundsätzlich gilt: Nicht schwätzen, nicht zu Erklärungstiraden ausholen, nicht sich beschweren, nicht referieren. So fragte Singh nach meiner Nase eher aus Höflichkeit. Im Grunde ist sie ihm egal. Sie ist so aufregend und ohne Belang wie jede andere Nase hier. Wir sollen zurück zu dem, wovor wir alle davonrennen wollen: sitzen und lernen, »da« zu bleiben.
Bereits heute Mittag hatte ich um ein Gespräch mit Singh gebeten und ihn nach dem Sinn der »chantings« von Mister Goenka gefragt. Diesem unheiligen Krächzen. Und die Antwort? »Höre die Vibrationen und tu deine Arbeit.« Ganz mitleidlos, eher unwirsch. »Höre die Vibrationen …«, so kann nur ein Inder reden, der vor keiner Lärmquelle Halt macht. Aber ich war nicht verstimmt, eher froh. Mein Ego muss nicht immer recht haben. Es ist, wie es ist, basta. Mein Roshi in Japan hat auf meine Fragen nicht einmal geantwortet, er lachte nur, lachte mich aus.
Es kam noch drastischer. Als ich damals krank wurde, Schüttelfrost und Fieber, wollte niemand so genau wissen, was mir fehlte. Offensichtlich nichts Lebensbedrohliches. Mir wurde ein Zimmer, eine Zimmerzelle, zugewiesen, weit hinten, weit weg von allen anderen. Hier lag die »Krankenstation«. Und keiner kam mich besuchen. Keine Messe wurde für mich gelesen, keine Kerze angezündet, kein Shinto-Priester gerufen, kein Bild einer himmlischen Jungfrau aufgestellt, kein Notruf an den heiligen Bonifatius verschickt, nicht einer im Kloster hatte fünf Minuten Zeit für Mitleid. Nichts.
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