Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
etwas betrübt, beschäftigt. Und wir spüren von Anfang an, wie der andere für uns »da« ist. Nicht auf seine SMS lugt, nicht vorbeigehenden Frauen nachschaut, nicht verstohlen auf die Uhr blickt, kein Handy auf den Tisch legt, nicht mit den Fingern trommelt, nicht den Wichtigen vorführt, nur sitzt und zuhört. Und das Wertvollste verschenkt, das er besitzt, seine Lebenszeit, seine unbestrittene Anwesenheit. Ich erinnere mich an einen solchen Moment, in dem mir die Tränen kamen. So gerührt war ich vor Dankbarkeit, so gerührt von einem, der sich von keiner Versuchung korrumpieren ließ. Wie ich ihn beneidete. Weil ich den Unterschied bemerkte.
Wer zu Vipassana kommt, der leidet. Das hat er mit einem Künstler gemein. Der malt oder komponiert, weil ihm etwas fehlt. Lebensfreude oder Sex oder Leichtigkeit. Wer liebt, der schreibt keine Liebesgedichte. Er liebt ja. Wer ein erfülltes Leben führt, Liebe gibt, Liebe bekommt, die vielen Jahre bravourös aushält, von keinem Wahn verfolgt wird, warum sollte so einer sich schinden? Schreiben? Nach Gott suchen? Einen Psychiater kontaktieren?
Wir anderen, die nicht so reichlich von den Göttern Beschenkten, haben beschlossen, uns hier niederzusetzen, um bis spätabends das Joch in unseren Knien zu erdulden. Warum? Weil jeder damit rechnet, dass die schmerzhafte Hingabe sich auszahlt. Dass irgendwann das Blatt sich wendet und Kräfte ihm zuwachsen, von denen er bisher nichts wusste. Oder sie bereits in sich spürte, aber ihrer nicht habhaft wurde, nicht über sie verfügte. Noch vertrackter: sie gegen sich richtete, sich selbst bekämpfte.
Ich will keinen Gott finden, keinen (weiteren) Therapeuten bezahlen, niemanden mehr beauftragen, sich um meinen Seelenmüll zu kümmern. Ich will mich finden, jene Ressourcen, die noch immer brachliegen. Vielleicht finde ich nichts, vielleicht habe ich meine Ressourcen schon verspielt. Auch möglich. Das Risiko einer nächsten Niederlage soll mich nicht einschüchtern.
Als ich vor zwei Wochen dem alten Harisingh zum ersten Mal begegnete, erzählte er mir von einem jungen Italiener, der vor Monaten an einem Retreat hier teilgenommen hatte. Und nach drei Tagen Anzeichen einer schweren Depression zeigte. Und am vierten Tag das Gelände verließ, um nach Hause zu fliegen. Als ich vor knapp dreißig Jahren in einem japanischen Zenkloster lebte, eher aus Abenteuerlust als aus Einsicht, fand man einen Amerikaner tot in seiner Zelle. Er hatte sich erhängt. Der Mann war 41 und schon vorher in psychiatrischer Behandlung gewesen. Harisingh warnte mich, ähnlich äußerte sich der Roshi, der Zenmeister in Kyoto: »Ein Retreat ist keine Psychotherapie.« Wer teilnehmen will, sollte eine grundsätzliche innere Stärke mitbringen. Psychosen werden hier nicht geheilt.
Das lange Sitzen befördert den Seelenschlamm nach oben. Der Meditierende muss sitzen und sich jeden bestürzenden Gedanken zumuten. Von der körperlichen Pein nicht zu reden. Deshalb der Warnschuss, deshalb auch die Fragen im Aufnahmebogen. Wer labil ist, klopft hier an die falsche Tür. Die ganz großen Desaster, die schwersten Ringkämpfe sollten schon hinter einem liegen.
Zurück in die Dhamma Hall , zum Atmen, zum Beobachten der Nasenspitze. Mit Willenskraft schaffe ich es ein paar Mal bis zehn. Dann gehe ich wieder auf Wanderschaft, im Kopf. So kurz war die Konzentrationsspanne schon vor zwanzig Jahren. Und zwischendurch schon ausdauernder, weniger störrisch, weniger irritierbar. Das ist normal, heißt es, am ersten Tag geht man k.o. Nach dem Highlife in der freien Welt, nach dem Reisen durch das Bilderbuch Indien landet man in einem abgedunkelten Raum, wo man die Augen schließen und »leer« werden soll. Mit einem Schlag ist alles vorbei. Die Welt als Kino, die Gerüche, die Gesichter, die Sprache, die Storys, die Freiheit. An solche Kontraste muss sich das Nervenkostüm erst gewöhnen.
Die nächste Erholung – sich in der Vergangenheit herumzutreiben kann wunderbar beschaulich sein – betrifft Janwillem van de Wetering. Einen Niederländer, der ein Buch über seine Zeit als junger Kerl in einem Kloster geschrieben hatte, Ende der fünfziger Jahre: Der leere Spiegel . Die Lektüre brachte mich zum Zen-Buddhismus, sie war mitverantwortlich, dass ich ebenfalls nach Kyoto ging.
Der Bericht war geistreich geschrieben. Weil es diesen elenden Eso-Singsang vermied, diese Pose des von sich schwer erschütterten Pilgrims, der auf langer Fahrt über die sieben Meere für uns
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