Trinken hilft
Ich bin zu gut erzogen, ich konnte Rosi keinen Korb geben. Sie schenkte mir ein so gewinnendes Lächeln, dass ich ihr die Körperfülle für den Moment nachsah und mich ihr anschloss. Später, soufflierte mir mein innerer Schweinehund, später stiehlst du dich einfach klammheimlich davon, sobald sich im Getümmel eine attraktivere Option bietet … Immerhin hatte die Dicke Grübchen, wenn sie lächelte, und das tat sie verschwenderisch. Verschwenderisch war auch ihr Getränkekonsum. Himmel nochmal, konnte die Frau trinken! So eine war mir noch nie begegnet. Langsam erwärmte ich mich für sie. Rein studienhalber natürlich. Mein Trinkratgeber für Frauen bedurfte noch der Feldforschung, und hier stand mir ein zugängliches Forschungsobjekt gegenüber, das mich – ich gebe es zu – von Drink zu Drink mehr faszinierte. Sie war charmant, unterhaltsam, humorvoll, ich musste bloß ihre Körperfülle ignorieren, und das gelang mir mit jedem Glas leichter.
Was soll ich sagen? Als das Schiff gegen Mitternacht den Anker lichtete, kippten wir unsere letzten Daiquiris hinunter und wankten berauscht in Rosis Kabine, Arm in Arm, den Hamborger Veermaster trällernd. Was dann passierte, entzieht sich meiner Erinnerung. Vielleicht hat ein kosmischer Zusammenprall die Erdachse verschoben. Vielleicht haben sich dadurch die Magnetfelder verändert. Vielleicht wirkte sich das auf die Anziehungskräfte aus. Tatsache ist: Ich bin nicht im Bermudadreieck verschollen. Ich überlebte die Nacht, sogar ohne Verletzungen. Zugegeben, als ich am späten Vormittag die Augen aufschlug, kam ich mir verändert vor. Nicht plattgewalzt, nein, im Gegenteil. Von der Schwere der Einsamkeit befreit. Fast körperlos, ähnlich einem gestillten Säugling, der vom Duft der Mutter getränkt sich darin auflöst.
Mein erster Blick aus schlafverklebten Augen erfasste ein Gebirge aus rosigem Fleisch, das normalerweise meinen Fluchtinstinkt geweckt hätte. Doch dann tauchten die Grübchen über den milchigen Gletscherwülsten und sahnigen Almhügeln auf, das verschwenderische Lächeln strahlte mir entgegen, und ich fühlte mich sofort am einzig richtigen Platz. Das Gebirge war warm und lebendig, ein Vulkan von überfließender Freigebigkeit. An seinen Flanken vergaß ich den Hunger und Durst, der mich aus meinem Mönchsdasein in die Welt hinausgetrieben hatte. Die paar Tage Welt seitdem hatten meinen Hunger ja mitnichten gestillt und meinen Durst zu einem kleinen Suchtproblem ansteigen lassen, was sich nur trinkend verdrängen ließ. Und nun lechzte ich nach einer Unbekannten, die mir gestern noch nicht einmal eines flüchtigen Blickes würdig erschien.
Die schrille Welt draußen existierte nicht mehr. Ich war da angekommen, wo alle hinstreben, die Rastlosen, Unersättlichen ebenso wie die asketischen oder im Spirituellen schürfenden Sinnsucher: bei mir selbst, in meinem Körper, den ich seit einer Ewigkeit als lästige Hülle vernachlässigt hatte. Jede einzelne Zelle, vom gelichteten Kopfhaar bis hinunter zu den verhornten Zehennägeln war spürbar ich , war wiedergefundenes Territorium, war pulsierendes Leben. Rosis weiche Brüste erlösten mich aus meiner karmischen Einzelhaft, aus dem Schraubstock meiner zynischen Menschenverachtung. Sie brachte meine versteinerte Seele zum Schmelzen. Der Himmel hatte sie mir geschickt, meinetwegen auch das Rote Kreuz oder eher das Blaue Kreuz oder wer auch immer für die Revitalisierung von Fossilien zuständig ist. Ich konnte nicht genug kriegen vom Duft ihrer erhitzten Haut, von ihren geflüsterten Liebkosungen und ihrer grenzenlosen Hingabe. Wir vögelten uns über den Atlantik, vereint in einer Zeitblase. Wir rammelten an Teneriffa vorbei und geigten über Casablanca hinweg. Vom Kabinensteward ließen wir uns stärkende Mahlzeiten in unsere Paarungskammer bringen und tauchten aus unserem Orgel-Konzert nur auf, um uns gegenseitig mit Häppchen zu füttern, während wir den Kanon aller Liebenden anstimmten, das niemals endende Loblied auf unsere glückhafte Begegnung.
Ich hatte nie an Wunder geglaubt, und nun war ich plötzlich Teil dieses Phänomens. Rosis leibliche Fülle war zu dem einzigen Zweck modelliert, Lust zu spenden. Sie erschien mir anbetungswürdig wie eine prähistorische Göttin. Sie verwandelte sich über den schaumgekrönten Wellen des Atlantiks in meine ureigene Venus, meinen Morgen- und Abendstern, und jede ihrer Handlungen war mir ein Quell der Freude. Wenn sie aß – und sie aß üppig, sie aß
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