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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
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mit Kusshand engagieren. Ein Schönheitschirurg, der gleichzeitig Pathologe ist, das bedeutet zwei Fliegen mit einer Klappe. Wenn erst einmal die Krankenkassen ins Geschäft einsteigen – ich sage nur: schwimmende Altersheime –, dann werden Sie alle Hände voll zu tun haben. Vormittags Fettabsaugung, nachmittags holt sich der Patient bei Ihnen sein Viagra, und ein paar Stunden später ruft man Sie in seine Kabine. Ihren Schorschi werden Sie nur noch zur Taschengeldauszahlung zu Gesicht bekommen, aber immerhin. Sie werden ihm ein wunderbarer Vater, ein zeitgemäßes Vorbild sein. Ihre Vielseitigkeit und Flexibilität wird ihn lehren, dass man sich nicht auf ein einziges Nischenthema kaprizieren darf. Arachnologen, wer braucht denn so was? Dass man Optionen für jede Nachfrage bereithalten muss, das wird er durch Sie erfahren.«
    »Ich weiß nicht …« Konrad hatte noch nicht genug getrunken, um seine Zweifel loszuwerden. Neue Perspektiven haben manchmal etwas Erschreckendes.
    »Über trinken Sie’s«, ermutigte ich ihn. »Ein Klarer schafft Klarheit, glauben Sie mir.« Ich fühlte mich in Hochform. »Besprechen Sie den Vorschlag mit Ihrer Frau. Sie wird begeistert sein. Frauen haben ein Faible für pragmatische Lösungen, das schwöre ich Ihnen.«
    Wir nahmen gemeinsam ein Taxi zum Schiff zurück, nachdem ich ihm noch kräftig nachgeschenkt und Mut zugeredet hatte. Keine Ahnung, woher ich meinen Überzeugungsschwung nahm. Ich, ein armseliger Versager, der es noch nicht einmal schaffte, bei mehr als tausend Frauen an Bord eine einzige in seine Kabine zu lotsen. Der in Geld schwamm und trotzdem einsam war. Trotzdem hatte ich es geschafft, dass dieser unglückliche Familienvater über meinen Vorschlag nachdachte. Die Psychofritzen haben recht. Wer Ratschläge erteilt, fühlt sich gut. Mit aufgeblähten Segeln schritt ich vor Konrad die Gangway hoch. Ich war in Siegerlaune und würde heute – endlich – eine reife Pflaume pflücken.
    Doch beim Abendessen verflüchtigte sich der Gedanke an eine reife Pflaume. Die Stimmung war gedrückt. Das Schiff legte nicht termingerecht ab, die Lautsprecherstimme verkündete, dass wir wegen technischer Überprüfungen einige Stunden länger im Hafen bleiben würden. Das Personal wirkte noch nervöser als vormittags, und zwischen den Passagieren im Freizeitlook und der Mannschaft in Dienstuniform erblickte man immer wieder hektisch miteinander palavernde Portugiesen in Zivil, die einen amtlichen und ernsten Eindruck vermittelten. Das waren keine Techniker. Das waren Polizisten. Die Lautsprecherstimme hatte zwar bekanntgegeben, dass der vermisste Junge gefunden worden und wohlauf sei, aber wenn man den Gerüchten Glauben schenkte, war das eine glatte Lüge. Es gab Passagiere, die wollten gesehen haben, wie die gramgebeugten Eltern mit Gepäck das Schiff verlassen hatten. Auch wurde beobachtet, dass an den Dinner-Plätzen der besagten Familie nun drei andere Personen ihr Abendessen einnahmen, als Platzhalter entlarvte Mannschaftsleute. Das alles ließ uns endgültig vermuten, dass der Junge verunglückt sei.
    Was für ein Unglück? Man konnte auf diesem Schiff nicht aus Versehen über Bord gehen. Die Reling war narrensicher, über die musste man schon mit einer Steighilfe hinüberklettern. War der Junge Schlafwandler gewesen? Mondsüchtig? Der Mond stand im abnehmenden Viertel. Ist es nicht der Vollmond, der die Somnambulen aktiv werden lässt? Das Wort Selbstmord stand plötzlich im Raum. Meine Tischnachbarin – selbst Mutter, wie sie betonte, deren Kinder zurzeit die Ferien bei ihrem geschiedenen Ehemann verbrachten –, meine Tischnachbarin jedenfalls beteuerte, Kinder seien vitale Opportunisten und weit entfernt davon, das Leben loszulassen.
    Da musste ich ihr widersprechen. »Ich habe mich niemals so desolat gefühlt wie als Jugendlicher«, gab ich zu. »Es gab Momente in meiner Jugend, wo ich glasklar die Verwerfungen in meinem Umfeld erkannte: die Sprachlosigkeit meiner Eltern, die Atomaufrüstung, das Überflüssigwerden der Alten – all das schuf einen metaphysischen Widerschein von Heimatlosigkeit in mir. Heute würde ich diese Momente der Verlorenheit als depressiv bezeichnen.«
    Ein paar Atemzüge lang vernahm man nur das Geklapper des Bestecks. Schweigend gaben sich meine Tischgenossen ihren Perlhuhnbrüstchen in Estragonsoße an Wildreis mit Mangoldpüree hin. Dann ergriff Monika das Wort, eine kinderlose Lehrerin aus Mainz. »Bei Kindern liegen Himmelhochjauchzend

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