Trips & Träume
Sie war wieder gut gelaunt. Der Ärger verraucht.
»Okay, viel Glück mit deiner Kommune. Aber was ist mit Andi?«
»Was soll mit dem sein?«
»Meinst du, ich bin blind? Wie du mit ihm abhängst, könnte man meinen, da läuft was.«
»Da ist nichts. Wir sind Freunde, das ist alles.«
»Dann also Mark mit seinen Schlagzeugermuckis?«
»Hör auf damit, ich will weder über den einen noch den anderen reden, okay?«, sagte sie. »Obwohl ...«
»Du lässt dir wirklich alles aus der Nase ziehen.«
»Mein Traum wäre perfekt, wenn wir alle gemeinsam in einer Kommune leben könnten. Du, Mark, Andi und ich, vielleicht auch noch Don. Das wäre toll«, sagte Karen nachdenklich.
»Das wird nicht funktionieren, weil zwei von denen, die du genannt hast, gern was mit dir hätten. Ich sag doch, es geht nur um Sex in so einer Kommune«, feixte ich.
Karen schaute zum Rats hinüber. Mein Blick folgte ihrem. In der Wohnung darüber war das Licht angegangen. Die beiden Fenster hatten keine Gardinen, doch es war niemand zu sehen.
Karen stupste mich an. »Andi ist zu Hause.«
Seit drei Monaten wohnte er in dieser Einzimmerwohnung. Woher er die Kohle hatte, war mir schleierhaft. Er hatte ja keinen Job. Von dem bisschen Auflegen im Rats mal abgesehen.
»Lass uns rübergehen, Musik hören und quatschen. Vielleicht kriegst du da auch ein Pflaster für deinen Arm. Andi ist nicht so, wie du denkst, man kann sich toll mit ihm unterhalten.«
Das war die Gelegenheit. Ich war neugierig, nun konnte ich selbst sehen, ob Andi wirklich ein Klavier in seiner Bude stehen hatte, wie man sich erzählte. Mal einen Blick riskieren, wie er hauste. Was aber, wenn der Sack wieder arrogant tat? Egal, wenn Karen dabei war, würde er nicht so auf die Kacke hauen. Und auf den Mund gefallen war ich schließlich auch nicht.
*
Irgendwie hatte ich erwartet, ein Siffloch vorzufinden.
Warum? Weil Freaks es nun mal nicht so mit der Ordnung haben. Die Jungs vom Hausboot kümmerten sich nicht um Abwasch und solche Dinge. Wenn es hoch kam, machten sie einmal im Monat sauber.
Karen hatte mir davon erzählt, da sie öfter bei Hucky, Jule und Werner abhing. Man stolpere, so wusste sie zu berichten, bei ihnen ständig über Socken, Schuhe, Hosen und Plattencover.
Ich war auch nicht viel besser. Auguste ermahnte mich manchmal. Dann sauste ich mit dem Staubsauger kurz durchs Zimmer. Das musste reichen.
Andi dagegen hatte Geschmack und Stil.
Nach dem dritten Klingeln summte der Öffner. Als Karen und ich im ersten Stock ankamen, stand die Wohnungstür einen Spalt offen.
Karen ging voraus, als sei sie hier zu Hause.
In der kleinen Küche blinkten Herd, Spüle und Hängeschrank wie in der Werbung. Von schmutzigen Tassen und Tellern keine Spur. Am Fenster stand ein Bistrotisch mit zwei Klappstühlen davor. In einer Vase steckten Blumen. Durch einen schmalen Flur, in dem Porträts von Rosa Luxemburg und Samuel Beckett die Wand säumten (sogar richtig eingerahmt), ging es am Badezimmer vorbei geradewegs ins große Zimmer, das Andi als Schlaf-, Wohn- und Arbeitsstätte diente.
In der Mitte des rechteckigen Raumes thronte das Klavier. Andi saß auf dem Schemel davor und hielt einen Stapel Noten in der Hand.
Es war kein Steinway. Ganz deutlich war der Schriftzug Schimmel zu erkennen. Siehst du, kein Steinway, dachte ich, man darf der Gerüchteküche nicht trauen. Aber immerhin. Selbst dieses Teil bekam man gebraucht nicht für unter fünf Riesen.
Das musste ich ihm lassen. Er war der Einzige der Szene, der eine eigene Wohnung, ein Auto und ein tolles Instrument besaß.
Andi musste einen Mäzen haben.
Er konnte Gedanken lesen. »Ich habe nach dem Tod meines Vaters geerbt«, sagte er zur Begrüßung. Ich fühlte mich ertappt und sagte nichts, schaute mich nur weiter im Zimmer um.
Das Bett bestand aus einer Matratze, durch einen Vorhang vom Rest des Zimmers abgeschirmt. Daneben ein kleines Bücherregal, in das ich einen Blick wagte. Adorno, Marcuse, Horkheimer, Mandel und Lukács. Frankfurter Schule und ihre verwandten Geister. Dann Ionesco, absurdes Theater oder wie man das nannte, und viel Musiktheorie. Den Prozeß von Kafka entdeckte ich. Und ein paar Filmbücher. Über Truffaut und Hitchcock. Ich war beeindruckt, Andi war in viele Richtungen interessiert.
Es gab kein Sofa, keinen Sessel. Dafür lagen zwei größere Sitzkissen bereit, die total angesagt waren, aus Nappaleder und mit Styroporstückchen gefüllt. Ich schnappte mir eines der federleichten Teile
Weitere Kostenlose Bücher