Trips & Träume
los.
Plötzlich tauchte ein Fahrrad vor mir auf. Ausweichen ging nicht mehr, und im nächsten Moment krachten der Drahtesel und das Mofa zusammen. Ich landete auf dem Boden, die Maschine ging mit einem lauten Knall aus. Ich lag auf der rechten Seite, einen Fuß in den Speichen des Fahrrads. Mein Arm schmerzte, der Kopf brummte.
»Kannst du nicht aufpassen?«
»Karen, bist du das?«
»Mist. Du hättest mich beinahe umgebracht.«
»Eine junge Dame flucht nicht.«
»Du kannst mich mal.«
Ich rappelte mich auf, klopfte Arme und Beine ab. Der rechte Ellbogen tat höllisch weh. Mit der linken Hand half ich Karen auf die Beine. Sie blickte mich wütend an. Sie war kurz davor, über mich herzufallen. Als ich mir das vorstellte, musste ich schmunzeln.
»Was gibt es denn da zu lachen?«, meckerte sie. Obwohl sie jetzt auch schmunzelte, war da was. Ich sah es an ihrem durchdringenden Blick.
»Wenn du wütend bist, siehst du noch hübscher aus«, sagte ich.
Sie boxte mich auf den schmerzenden Arm. »Klappe!«
»Hey, das tut weh«, sagte ich und hielt ihr den Arm hin.
»Die Haut ist abgeschürft. Waschen und ein Pflaster drauf«, sagte sie.
»Lad bitte deinen Ärger woanders ab.«
»Ärger ist das richtige Wort. Ich bin sauer.«
»Etwa auf mich?«
»Nein.«
»Willst du drüber reden?«
Ich stellte das Mofa wieder auf die Räder. Es schien alles in Ordnung zu sein, bis auf den Kickständer, der irgendwie schief aussah. Das ließ sich bestimmt wieder richten. Don wird darüber hinwegkommen, dachte ich. Karens Vorderrad war platt. Auch das war zu verschmerzen.
Gegenüber dem Rats lag die Berufsschule. Wir gingen über die Straße und setzten uns auf die Stufen.
Besonders an Sonntagen war diese Treppe Austragungsort für so manches Freakout. Dann hingen da bis zu zwanzig Leute herum und warteten darauf, dass Kief das Rats aufschloss. Natürlich kreiste dann und wann ein Joint, Mark spielte auf seinen Bongos, Paul packte die Akustische aus, dann wurde eine richtige Session abgehalten.
Hucky, Jule und Werner parkten ihren VW-Bus immer genau vor der Treppe. Schiebetür auf, und ein dicker Qualm schlug uns entgegen, weil die Kerle gerade ein Chillum geraucht hatten.
Ich liebte diese sonntäglichen Treffen. Einmal waren wir so bekifft, dass ein echtes Happening draus wurde. Es war Karens Idee gewesen, den Bus zu bemalen. Sie schwang sich aufs Fahrrad und besorgte von zu Hause dicke Filzstifte und Wasserfarben. Alle, auch Mark und ich, machten mit.
Es entstanden ausufernde psychedelische Bildchen mit Kifferfratzen und Sonnenaufgängen. Wir lachten und sahen danach aus wie bunte Hühner, so hatten wir uns mit Farbe eingesaut. Ein paar Spaziergänger kamen vorbei und schüttelten den Kopf, doch sie trauten sich nicht, etwas zu sagen. Dass die Polizei nicht aufkreuzte, war eh schon ein kleines Wunder. In dieser Stadt musste man mit allem rechnen. Das Gemalte hielt leider nicht lange, beim nächsten Regen war alles verschmiert. Der Bus war für uns trotzdem ein Kunstwerk, eine soziale Skulptur oder so was in der Richtung.
Heute gehörte die Treppe Karen und mir allein.
»Ich hau ab«, sagte sie.
Ich war baff. »Was?«
»Hast du keine Träume?«
»Na klar, Artikel schreiben für den Rolling Stone, wie Sartre im Café sitzen und Essays verfassen. Sag mal, was ist denn mit dir los? Du zitterst ja.«
»Meine Eltern haben mir eine Moralpredigt gehalten. Sie sind solche Spießer, das ist nicht zum Aushalten. Auf die hab ich keinen Bock mehr. Ich mach die Fliege. Basta. Ich geh nach Christiania.«
»In diese Freakkommune? Kopenhagen ist aber nicht gerade der angesagteste Ort. Amsterdam, Paris oder London, ja, das könnte ich verstehen. Aber Dänemark? Das gibt es doch nur trinkfeste Seemänner.«
»Erinnerst du dich noch, als ich im vergangenen Jahr ins Allgäu gefahren bin, meine Großmutter besuchen?«
»Auf dem Rückweg hast du im Zug zwei Mädels kennengelernt, richtig?«
»Miti und Rike, die kommen mich bald besuchen. Und dann geh ich mit ihnen nach Kopenhagen.«
»Gib es zu, ihr habt euch in hübsche Dänen-Hippies verliebt, jetzt wollt ihr gemeinsam nach Grönland auswandern«, versuchte ich sie aufzuziehen.
Karen schüttelte den Kopf. »Christiania wird eine ganz große Sache. Jeder ist willkommen, wenn er etwas zum Gelingen beitragen will. Verstehst du, eine richtige Kommune. Miti und Rike haben mir erzählt, die Besetzung des Geländes sei für September geplant. Aber davon darf niemand etwas
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