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Trisomie so ich dir

Trisomie so ich dir

Titel: Trisomie so ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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Roy ist müde, so beschissen müde …
    O-Ton Gott: Der Mensch an sich ist kaputt. Irreversibel geschädigt. Alle hier. Was mach ich nur mit den Leuten? Was nur? Die Leute laden immer mehr komische Sehnsüchte in sich rein, sie sind wie Computer, die ständig System zerstörende Viren ansaugen. Download für Download Verderben. Ihre veralterten Betriebssysteme verlangsamen ihre Geschwindigkeit, und auch wenn sie Hoffnung unter Entwürfe gespeichert haben, verirren sie sich in ihren Ablagen. Ich kann die Scheiße einfach nicht mehr ernst nehmen.

Ich bin weggefahren, um mir zu beweisen, dass ich mir nichts mehr beweisen muss
    »Was ist denn das für ein Parfüm, das Sie da tragen?« Die alte Frau steht gebückt, von den Lasten einer Existenz krumm gemacht, vor ihr, und eine uneinschätzbare, weil durch parkinsonhaftes Zittern stets in Bewegung befindliche Mimik wirkt auf Solveig ein. Solveig ist verunsichert gewesen und hat sich ein wenig erschrocken, da plötzlich die Tür aufgesprungen ist, als sie das Treppenhaus betrat, gerade so, als ob die alte Frau dahinter auf sie gewartet hätte. »Wieso? Stimmt damit was nicht?« Die alte Frau hält sich am Türrahmen fest, zittert nun fast am ganzen Körper und lächelt bebend aus einem gegerbten und erfahrenen Gesicht in Solveigs Antlitz. »Doch, doch, es stimmt viel an diesem Geruch«, verlautbart sie mit gebrochener, heiserer Stimme, »Er ist wunderschön. Er erinnert uns an in frischen Orangensaft getauchte Rosenblütenblätter. Wissen Sie, mein Mann und ich riechen ihren Duft sehr häufig, und es ist der schönste Duft hier im Haus.« Jetzt lächelt auch Solveig, als sie das eigenartige Kompliment aus den Worthülsen der alten Frau herausschält wie das süße Fruchtfleisch aus einer Mandarinenschale. »Mein Mann hatte kürzlich einen Schlaganfall, wissen Sie, es geht ihm nicht sehr gut, aber immer, wenn er Sie vorbeigehen riecht, lächelt er. Zumindest sieht das so aus. Er hat auch schon mal erwähnt, dass er Ihren Geruch mag, damals, als er das noch konnte, das mit dem Reden und dem Riechen. Jetzt liegt er ansonsten nur da, starrt an die Decke und ist nicht zu Bewegungen oder Sprache fähig, der Schlaganfall hat sein Gehirn ganz schön beschädigt.« Die alte Frau guckt auf den Boden. Solveig auch. Jetzt wird die Sache unangenehm für sie, denn sie weiß ja um den Kommunikationstrieb, den alte Menschen gelegentlich so haben, alles wird vollgequatscht von Supermarktkassenwarteschlange bis Linienbusbesatzung, und wenn diese alten Menschen mal jemand Naiven zum Zuhören gefunden haben, der sich, aus welchem Gefühl auch immer heraus, zum Zuhören verpflichtet fühlt, dann wird es auch moralisch immer schwieriger, einfach zu gehen. Solveig fühlt sich jetzt ein wenig unwohl, denn sie möchte schnell in ihre Wohnung und nicht mehr das Schicksal der Alten teilen. »Chanel No. 5«, sagt sie also zügig in eine geröchelte Atempause der Frau hinein, »Es heißt Chanel No. 5. Ich muß dann auch mal rauf.« Die in der Tür lehnende, gebrechliche alte Frau nickt nur, guckt ein wenig traurig und dreht sich in theatralischer Zeitlupenlangsamkeit um und murmelt irgendwas, was wie »Schanell Nummer fünf« klingt. Solveig sieht noch ihr leergewohntes Gesicht, als sie die Treppen hinauf hastet. »Hermann heißt mein Mann, Hermann heißt der«, hört sie die Frau noch monoton schleppend vor sich hin sprechend, bevor ihre Tür auf- und die der alte Frau unten zugeht.
    Sie kommt in ihre Wohnung und sieht die Jacke ihrer Mitbewohnerin Jenny, die in gewohnt schlampiger Manier auf den Boden vor der Garderobe liegt, und daneben liegt eine ihr unbekannte schwarze Männerlederjacke. Sie hat also Besuch …
    Kurz darauf sitzt Solveig in ihrer WG-Küche, und ihr ist traurig zumute, wegen der Zumutungen, welche ihr Leben für sie bereithält. Da scharren sich Ängste um sie, die sie wie grimmige, hungrige Tiere anhecheln, und knurren und bellen tun sie auch, diese Ängste, und sie machen Solveigs Leben zu einer Epoche der Unsicherheit. Da ist diese zerrende Schwermut, die sie auf diesem Stuhl, in dieser Küche, in dieser Stadt festhält, und gleichzeitig ist da ein irre brennender Trieb, alles hinzuwerfen, dem Studium einen Arschtritt zu geben, den ganzen Männern abzuschwören, die da draußen rumlaufen. Nicht mehr in fremde Arme hinein- und auf irgendeinen Mann hereinfallen.
    Mein Leben, so denkt Solveig, ist weit entfernt davon, ein flammendes Inferno zu sein. Es scheint zu wenig Bedeutendem

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