Trisomie so ich dir
zu taugen. Dieses Leben fühlt sich für Solveig manchmal an wie der Sturz aus dem Fenster. Aus dem Fenster einer Erdgeschosswohnung. Wo Harmlosigkeiten einander folgen, und nur der eigene Gefühlsapparat macht die Geschehnisse spannend, nur die eigene Wahrnehmung ist darauf ausgerichtet, dieses Leben interessant zu nennen. Aber da ist nichts, nichts, was sich wirklich bewegt, nichts, was Bewegung machen würde. Wenn Solveig in sich reinhorcht, ist da nur dieser dumme Herzton, der dem nächsten Herzton folgt, weiter ist da nichts, gar nichts, vor allem: nichts Begreifbares. Deswegen horcht Solveig ungern in sich rein.
Als sie damals vom Dorf in die Stadt zog, um ein Studium der Sozialpädagogik zu beginnen, da dachte sie: Jetzt geht es los, jetzt geht es endlich los, und die Banalitäten würden aufhören, und vielleicht fällt etwas von dem Gewicht runter, welches sie am Boden hält, aber die Schwerkraft blieb und mit ihr blieb immer ein Stück Traurigkeit an ihr haften. Sie war doch eine von jenen durchstartfähigen Frauen mit tollem Abitur und dem unbedingten Willen, dem Leben etwas abzugewinnen, was nicht jeder haben könnte.
Als sie vor zwei Jahren hier her kam, in diese unbekannte, große Stadt, dieses Studium zu beginnen, ging es erst mal los. Sie lernte Männer kennen, die viel näher an dem waren, was sie für einen Mann hielt, als ihre dummdörflichen Spielgenossen. Die Männer waren wilder, uneinschätzbarer, immer aber auch distanzierter. Nach sinnlosem Herumgeficke, ohne einen Hauch eines Verliebtseins zu spüren, kam da dieser Sven in ihr Leben, und bei ihm merkte Solveig erstmals, dass da was war, was mehr war als der bloße Austausch von Flüssigkeiten, die man ineinander schüttet, in der Hoffnung, es käme ein neues Kultgetränk dabei heraus.
Nein, Sven, der war leise, war zuvorkommend, war verliebt in sie und küsste nahezu den Boden, auf dem sie schritt. Das aber, genau das, wurde ihr schnell zu langweilig, und sie ließ wen anders von ihren Genitalien kosten und dann noch mal wen anders und anschließend wieder wen anders, immer mit der Hoffnung am Start, da käme einer und würde Liebe über sie schütten, also so einer wie Sven, nur in deutlich unlangweiliger. Der Sven, der weinte, als sie mit wenigen Worten von ihm ging, er weinte wie ein Kind und drohte mit der Beschädigung seiner Gesundheit und mit Selbstmord, und da hatte die Solveig kurz Angst vor den Folgen ihrer Handlungen, kurz danach aber kam der Gedanke in sie, dass man doch nicht mit einem Betonklotz am Bein in den See des Lebens springen kann, und Sven, der ohnehin immer sehr blass war, bleichte vollständig aus und verschwand noch während sie sich von ihm abwendete aus ihrem Kopf.
Seitdem war sie dann auf der Suche, also, nachdem sie sexuell einiges probiert hatte und der Geschmack der Begegnungen im Anschluss an das Körperliche immer bitterer wurde. Solveig suchte und suchte. So ein Held solle das sein, mit einem mitreißenden Leben bestückt, dass Solveig überschwemme wie ein Tsunami ein indonesisches Küstendorf. Hilflosigkeit und Kontrollverlust in Form von Liebe wünscht sie sich, so richtig untergehen will sie. Und daher probierte sie eben Männer aus, wie ein Modepüppchen bei H&M Hosen probiert. Diese Typen waren aber alle irgendwie falsch, alle zu kaputt, zu langsam, zu schlau, zu unklug, zu verdrogt, zu unhygienisch oder besaßen einfach nicht die Fähigkeit, eine Frau vom Formate Solveigs als übergut gefickt zu hinterlassen. Ja, sie mag das Schmutzige am Sex, das schlammige Suhlen, das ewige Puhlen an der Klitoris, das befreite orgastische innere und äußere Zusammenklappen und das Weinen, wenn es einfach zu gut ist. Ja, die Solveig weint, wenn der Sex zu gut war, sie weint vor körperlicher Anstrengung und wegen dem Entspannungsmoment, der kommt, wenn sie krumm in sich zusammenfällt, sich im Kopf so leer wie tiefenentspannt fühlen darf und der Penisinhaber langsam aus ihr herausschwappt. Das sind gute Momente, aber sie sind so selten und sie zu suchen ist so anstrengend.
Manchmal denkt sie, dass sie vielleicht auch diese Erniedrigung mag, die einige Männer ihr antun, diese Brutalität, die manchmal aufkommt, wenn einer in ihr wütet. Das macht sie so wunderbar hormongesteuert bescheuert.
Aber da kommen auch kurz danach, nachdem die hormongesteuerte Bescheuertheit wieder verflogen ist, diese dummen Gedanken. Gedanken, die zum Inhalt haben, dass das alles falsch ist, dass die guten Ficker nicht einen Hauch
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