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Trisomie so ich dir

Trisomie so ich dir

Titel: Trisomie so ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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Behinderte, in dem er mit anderen Bewohnern soziale Bande knüpfen könnte, wo durch dann auch eine andere Entwicklung möglich wäre. Nein, den Roy wegzugeben, daran dachten die Eltern nicht, wie sähe das denn aus? Von nachbarschaftlicher Seite würde es dann Anklagen hageln, die zum Inhalt hätten, dass die bösen Menschen, die Roy geboren hatten, ihn jetzt auch noch fortschickten, weil sie sich nicht mehr um ihn kümmern mochten. Man würde nach dem Verbleib des Roys gefragt werden und nach den Gründen für seine Fortschickung, und diese Offenheit besaßen die Eltern einfach nicht. Daher behielten sie ihn, so eng es eben möglich war, bei sich. Sie bringen es nicht über ihre Herzen, die Eltern, den Roy wegzugeben, aber das tun sie nicht für Roy, sondern für ihr nachbarschaftliches Umfeld, das sich schräge Gedanken über die Familienverhältnisse machen würde. Da Roy, aus Gründen des Nichtsprechens, für die Mutter unfragbar ist, hat er auch keine Meinung und wird fremdbestimmt am Mutterrockzipfel belassen. Roy ist das verwundete Tier, das die Mutterkuh aufzieht, und der angeschossene Soldat, der unbedingt mit nach Hause gebracht werden soll, obwohl er die Truppe langsamer macht. So denkt die Mutter und schüttet gigantische Eimer falsch gemeinter Liebe über Roy, der in dieser klebrigen Masse zaghaft blöd dahin dämmert. Der Vater übt sich häufig in Zurückhaltung und kann das schon ganz gut. Er tendiert zur Familienflucht, ist kaum da, trifft sich mit anderen Rentnern zu Gesprächen, Bieren und anderen Nichtigkeiten. Bloß raus aus dem Krisengebiet, dass sich Familie nennt, denkt er dann, wenn seine Frau irgendwas zwischen Hysterie, Wahnsinn und plumper Mütterlichkeit darzustellen versucht.
    Die Bustür öffnet sich mit einem fiesen Zischen, das an das Geräusch von etwas in brodelndes Frittierfett geworfenem erinnert. Frittiertes Leben oder sowas. Kalles Nacken nickt, Roy verlässt den Bus. Es sind noch ein paar Meter zu gehen, Roy sieht schon den Kopf seiner Mutter in der Tür, die hier Gesicht zeigt. Ich bin eine gute Mutter, denkt die Mutter, und dass das ja jeder sehen soll. Jeden Tag. Roy geht langsam, er könnte schneller laufen, aber wozu. »Junge, da bist du ja«, kommt seine Mutter ihm mit zögernden Schritten entgegen. Ihr altes, muffiges Fleisch umgibt den Roy, und der spürt nichts. Die Umarmung besteht so lange, bis der Bus außer Sichtweite gerät.
    Die beiden gehen rein, und die Mutter schweigt. Der Ablauf ist dann immer der gleiche. Da liegt ein Schinkenbutterbrot auf dem Küchenholztisch, und eine Tasse steht daneben, auf der Roys Name in bunten, kindgerechten Buchstaben eingraviert ist und in die die Mutter Orangensaft getan hat. Roy setzt sich, hasst das Gleichbleibende an seinem Leben, isst und trinkt lediglich, um zu überleben, und geht dann in einen Raum, den die Eltern großzügig »Roys Zimmer« nennen. Da hat es ein gemachtes Bett, einen Schrank mit Bekleidungsstücken, die die Mutter ausgesucht hat, und ein paar Bilder an den Wänden, von denen dumme Clowns ins Zimmer grinsen. Das muss man sich mal vorstellen: Clowns mit roten Nasen, großen Schuhen, die treudoof und bewusst debil von Tapeten in Roys Zimmer starren. Immer versuchen sie, lustig zu sein, nie schaffen sie es.
    Die einzige Weltflucht, die hier möglich ist, ist ein kleiner Fernseher, der auf einem Beistelltisch steht und groß, klobig und unmodern den Raum mitbevölkert. Da, in diesem Fernseher werden Teile von Roys Fantasie und Romantik mitgeboren. Serien mit realitätsfremden Botschaften, Filme mit unrealistischem Eigenleben und die Darstellung einer Liebe, die sich anfühlt wie der Griff in eine Bonbontüte, all das begegnet Roy durch den Fernseher, und er ist damit auf sich allein gestellt, erkennt zwar irgendwie die Unstimmigkeit des Ganzen, wenn er das Gezeigte mit seiner Umgebung vergleicht, befindet sich aber trotz allem in einer Art Zwischenwelt. Es könnte ja alles so sein, wie es die Fernsehwelt anpreist, ja, es könnte gelingen, und zwar dergestalt gelingen, wie in diesen meist grünlich schimmernden Heimatfilmen, die nach immer gleichem Strickmuster hergestellt scheinen. In diesen Filmen ist die Liebe etwas Erstrebenswertes, ohne das ein Mensch nicht überleben kann. Guckt Roy aber sein Leben an, dann sieht er, dass ein Mensch auch als funktionierender, emotionsloser Apparat überleben kann. Liebe widerfährt ihm ja höchst selten und wenn, dann ist es diese seltsame Art von Erstickungsliebe, mit

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