Trisomie so ich dir
Rothaarigen und verbirgt sich in ihr. Versteckt sich in ihrem Arm und ist dort geschützt vor dem gesammelten Unheil dieser Welt, und das Mädchen wäre dann voller Enthusiasmus für die Annahme der Geschlechtsteile Roys, und schon wäre man eine Familie, die unauseinandersprengbar ist. Soweit zu Roys romantischen Befindlichkeiten. Er öffnet die Augen wieder, und Johanna stinkt nach Pippi, der Spasti ist ganz ruhig, vielleicht hat er sich in die Hose ejakuliert vor lauter Aufregung. Ein zäher, grünlich schimmernder Spuckefaden hängt ihm aus dem linken Mundwinkel, als letzter Zeuge seiner Hemmungslosigkeit. Der Bus fährt los.
Roy weiß, dass das, was ihn nach der Busfahrt erwartet, sein enges, käfighaftes Zuhause sein wird. Da hat es zwei Leidwesen in diesem Zuhause, seinen Vater und seine Mutter, beide schon über siebzig und in einer Existenz gefangen, die unabstreifbar scheint. Es sind alte Eltern eines behinderten Kindes, bis zum Anschlag vollgepumpt mit Schuldgefühlen aller Art. Ihr Sohn Roy, kam ihrer Ansicht nach krank auf diese gottesunfürchtige Welt, weil sie, die Eltern, angeblich voller Sünde waren, und seitdem suchen sie die Aspekte ihres Lebens, die voller Sünde gewesen sind und geißeln sich selbst daran. Der Vater etwas weniger, die Mutter dafür etwas mehr und Roy hasst das, dieses Gefühl, in die Fresse gestempelt zu bekommen, man sei der ständig unanständige Fehler im menschlichen System dieses kleinen, engen Familienkreises. Die Eltern definieren Roy stets als beschädigt, beschützenswert und als unfertig geboren. Und das schon seit frühester Kindheit. Da kam immer dieser Blick aus der Mutter heraus, schon zu Beginn der Fähigkeit einer Wahrnehmung eines Blickes, der zu Roy sagte: »Ich bin so traurig, dass du so kaputt bist, verzeih dein Geborensein, du unwertes, aber trotzdem liebliches Misthaufenkind.« Mit Blicken, die solche Aussagen mit sich führen, musste Roy schon in frühester Kindheit klar kommen. Alles Handeln der Eltern ist seitdem darauf ausgerichtet, zu leiden, gerne auch öffentlich, und Roy als den Grund des Leidens benennen zu können. All das tun sie, obwohl sie ihn lieben, überdosiert lieben sie ihn gar, ihren einzigen Sohn, den mit dem Gendefekt. Und mit dieser Liebe in Überdosis, die keine Liebe ist, sondern nur Zuckerwatte, die alle Poren verstopft, die atmen wollen, mit dieser Liebe wird Roy voll gepumpt, und er wünscht sich, dieses Gepumpe würde endlich aufhören, und die Leute, die sich seine Eltern nennen, würden endlich mal erwachsene Entscheidungen treffen und irgendetwas unternehmen, was diese dumme Schuldatmosphäre aus dem Haus schmeißt.
Als Kind versuchte Roy noch, diese Blicke als etwas Gutes umzudeuten, als den Schutz, den er verdient hat, doch irgendwann in seinen jungen Jahren erkannte er bereits die Überdosierung der Liebe, die mittelschwer krankhaft auf ihn niederprasselte, und die Schuldgefühle der alten Eltern, ihn in diese Welt gepresst zu haben. Sie schämten sich tatsächlich, waren aber ebenso enttäuscht von der genetischen Zusammenstellung, die sie fortan »Sohn« zu nennen hatten. Und dieser Sohn starrte sie aus stets dummen Augen an, die dicke Zunge hing ihm aus dem Gesicht, aus dem kein Wort des Verständnisses oder der Zuneigung zu erwarten war. Das blanke Schweigen spielte sich in Roys Antlitz ab, und das Schweigen war manchmal so leise, dass die Eltern ihn kaum mehr atmen hörten, den Roy. Ach, würde er doch einfach damit aufhören, mit diesem Atmen, dachte die Mutter manchmal und musste sich dann eine Boshaftigkeit eingestehen. Würde der Roy einfach nicht mehr atmen, die Leute würden das verstehen. Er ist doch so krank, der Roy, so unglaublich krank und Sterben, so euthanasierte die Mutter gestört vor sich hin, Sterben würde ihm doch wohl helfen, um nicht diesem vollen, bösen Leben gegenübergestellt zu werden, das er eh nie ganz beherrschen können wird. Natürlich legte die Mutter aber nie Hand an Roy, das hätte sie nie gewagt, ihn gewaltsam irgendwo hinzuführen, sie hoffte nur, und das gehäuft in Roys Kinderjahren, er stürbe einfach so. Morgens würde die Mutter an sein Kinderbett kommen, in dem eine kleine, liebe und vor allem gern und zurecht gestorbene Leiche rum liegt, die es nicht in den Morgen geschafft hat. Kann ja mal passieren, dachte die Mutter. Passierte aber nicht.
Niemals aber wurde über die Möglichkeit gesprochen oder nachgedacht, den Roy in ein Wohnheim zu geben, so ein Wohnheim für
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