Triumph des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
wiederhergestellt werden. Das passte eher zu seiner gutgläubigen Gesinnung.
Geraldine hingegen würde zur Erpressung neigen. Jürgen du Plessis und Lioba ganz gewiss auch. Sie lebten über ihre Verhältnisse, und auch wenn sie sicher noch nicht völlig verschuldet waren, so zehrten sie doch an ihrem Kapital.
Was waren das für Unterlagen, die mein Verlobter mir überlassen hatte? Ich sollte darüber wohl mal gründlich nachdenken.
Das heiße Wasser war lau geworden, ich wickelte mich in meinen Bademantel und ging zurück in mein Zimmer. Das Bett lockte mich, und im Liegen und beim Dösen würde ich möglicherweise leichter hinter die verschlossenen Türen der Vergangenheit schauen können.
Mit einem Seufzen streckte ich mich unter der Bettdecke aus.
Juli 1916 – der junge Offizier war mit einer Gruppe weiterer Verwundeter eingetroffen und lag blass und schweigend in der luftigen Aula der Schule, die zu einem Lazarett umgewandelt worden war. Bett stand dort an Bett, militärisch ausgerichtet, und in diesen Betten ruhten die Opfer der Schlachten auf dem Weg zur Genesung. Nicht alle, manche hatten einen anderen Weg vor sich. Seit über einem Jahr war ich freiwillige Pflegerin, wie viele meiner Mitschülerinnen auch. Man hatte uns leichte Arbeiten zugewiesen, schließlich waren wir höhere Töchter, und das Waschen und Verbinden der Männer war uns nicht zuzumuten. Aber wir schüttelten Betten auf, brachten Essen und Getränke, halfen den Schwachen beim Essen, lasen ihnen Briefe vor oder ließen uns die ihren diktieren. Ich kam jedoch nicht umhin, die Wunden zu bemerken, die ihnen geschlagen worden waren. Die fehlenden Gliedmaßen, die Narben, die Hoffnungslosigkeit in den Augen. Wie ausgezehrt und mager manche von ihnen waren, wie erschüttert. Leutnant Titus du Plessis hatte einen Lungenschuss erhalten, war jedoch relativ schnell versorgt worden. Das Fieber hatte ihn aber geschwächt, der Transport von der Front noch mehr. Er war kaum in der Lage, den Kopf zu heben. Er wurde mir zugeteilt, und als ich mich zu ihm setzte und mich vorstellte, huschte ein geisterhaftes Lächeln über sein graues Gesicht.
»Sie sagen, es wird uns ein Engel vom Feld holen. Können Sie fliegen, Fräulein?«
»Ich bedauere, Sie enttäuschen zu müssen, Herr Leutnant. Weder kann ich fliegen noch sind Sie im Himmel. Aber ich hätte hier eine Tasse Tee für Sie.«
»Dann ist es die Hölle, denn ich kann mich nicht aufsetzen, um stilvoll daran zu nippen.«
»Es wird gehen, wenn ich Ihnen helfe. Dazu bin ich hier.«
Auch er war mager, ich spürte seine knochigen Schultern unter meinen Armen, als ich ihn anhob und das Oberteil des Bettes feststellte. Er schaffte es, eigenhändig die Tasse an den Mund zu führen, und trank dankbar. Man hatte ihm die Haare gewaschen und gekämmt, ihn rasiert und gebadet, in ein weißes Hemd gesteckt und ihm Medikamente gegeben. Meine Aufgabe war es, mich um seine Lebensgeister zu kümmern.
Die lagen immerhin nicht völlig darnieder. Er war zwar schnell erschöpft, aber er lächelte jedes Mal, wenn ich zu ihm kam. Nach zwei Tagen begann ich, ihm aus einem Buch vorzulesen, das mir Will noch vor dem Krieg einmal ausgeliehen hatte. Es stammte von einem Schriftsteller namens Karl May und handelte von dem höchst edlen Indianer Winnetou und seinem noch edleren Freund Old Shatterhand. Ich war selbst überrascht, wie gut mir diese abenteuerliche Geschichte gefiel, und wir beide begannen, von dem großen, weiten Land zu träumen, durch das die Herden wilder Mustangs donnerten, folgten den gewaltigen Zügen der Büffel und bauten Schienenstrecken durch unberührte Landschaften. Außerdem kämpften wir gegen die Bösen und besiegten sie.
Titus war ein schwärmerischer Mann, und ich bildete mir ein, dass unsere gemeinsamen literarischen Ausflüge ihm halfen, kräftiger zu werden. Nach einem Monat konnte er bereits aufstehen, und wir verabredeten uns in meiner Freizeit auf kleine Spaziergänge durch Godesberg.
Er hatte dann und wann Post bekommen, erinnerte ich mich. Aber gelesen hatte er sie selbst, ebenso wie er wohl auch selbst Briefe geschrieben hatte.
Woher kamen also die Unterlagen, die er mir angeblich gegeben hatte? Er war an der Somme verwundet und von dort ins Feldlazarett gebracht worden. Anschließend hatte man ihn nach Godesberg verlegt. Was immer er an Papieren besaß, musste sich in seinem Quartier befunden haben.
Ich brauchte den Rat eines Soldaten oder, besser noch, Offiziers, der mir sagen
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