Triumph des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
konnte, wie so etwas gehandhabt wurde.
Titus bekam Genesungsurlaub und wurde aus dem Lazarett entlassen. Er nahm sich ein Zimmer in unserem Hotel, und unsere Beziehung zueinander wurde enger. An einem Augusttag wurde sie zur Liebschaft, und Titus, ehrenhaft wie er nun mal war, hielt bei meinem Vater um meine Hand an. Meine Eltern waren überrascht, machten mich vorsichtig auf das Risiko aufmerksam, dass der Krieg derartige Versprechungen nicht ernst nahm. Mir war die Gefahr, dass Titus fallen könnte, zwar bewusst, aber wir waren jung, und vielleicht würde alles gut gehen. Was mein Vater jedoch zu verhindern wusste, war eine überstürzte Kriegstrauung, und so einigten wir uns darauf, dass wir erst in Titus’ nächstem Urlaub vor den Altar treten würden. Im Oktober war er wieder diensttauglich und kehrte zu seiner Einheit zurück. Eigentlich wollte er zu Weihnachten zu uns kommen, aber er bekam keinen Urlaub. Seinen letzten Brief, in dem er mir versprach, im April wieder nach Godesberg zu kommen, erhielt ich im Januar.
Er kam nicht, die Schlacht an der Aisne begann.
Ich verbrachte meine Tage in Sorgen, in Arbeit und in Hunger. Titus’ Bild verblasste mehr und mehr. Erst ein Jahr später erhielt ich eine Nachricht – die du Plessis’ teilten mir mit, dass Titus gefallen sei, und baten mich, zu ihnen nach Berlin zu kommen. Ich zögerte, die Zeiten waren extrem hart, meine Eltern brauchten mich. Dann kam der entsetzliche Winter 1919, und die Spanische Grippe schlug zu. Verloren und erschüttert verließ ich mein Heim mit nur einer Reisetasche in der Hand. Meine Fast-Schwiegereltern nahmen mich auf, aber die erste Zeit verbrachte ich wie in einem Nebel dort in Berlin.
Sie hatten einmal nach Unterlagen von Titus gefragt. Natürlich, Geraldine musste davon gewusst haben, denn sie hatte ja den Abschiedsbrief erhalten.
Wann hatte Titus mir etwas übergeben?
Nicht, als er noch im Lazarett lag. Als er bereits im Hotel logierte, vermutlich. Bei einem Anlass, an dem anderes weit wichtiger war als ein einfacher Umschlag …
Ich ließ meine Gedanken schweifen und fand ein Türchen, das sich einen Spaltbreit öffnete. Titus war nach seiner Genesung für eine Woche zu seiner Einheit gefahren, um irgendwelche Dinge zu regeln, und war dann noch einmal für einige Tage nach Godesberg gekommen. In der Nacht bevor er endgültig abreisen musste, war er in mein Zimmer geschlichen, wie so manches Mal zuvor. Aber in jener Nacht hatte er mir einen goldenen Ring an den Finger gesteckt. Trauer und Glück hatten uns verbunden, Hoffnung auf ein Ende des Krieges und Sehnsucht nach einem Leben in Frieden. Wir hatten Zukunftspläne gemacht, bis die Morgendämmerung durch die Vorhänge fiel. Dann waren wir aneinandergeschmiegt eingeschlafen.
Meine Mutter hatte uns geweckt, eine strenge Miene aufgesetzt, aber dennoch Verständnis gezeigt. Als wir das Bett verließen … auf dem Tisch hatte der braune Umschlag gelegen. Genau, an jenem Morgen war es gewesen. »Heb das für mich auf«, hatte er gesagt. »Das ist etwas, um das ich mich später einmal kümmern muss.« Ich hatte nicht gefragt, was in dem Umschlag steckte, sondern ihn oben im Schrank unter die Wintersachen geschoben.
Und vergessen.
Der Abschied von Titus hatte alles andere in den Hintergrund gedrängt.
Vermutlich lagen diese Unterlagen noch immer im Schrank unter Wollmützen und Schals.
Ja, ich würde zurückkehren nach Godesberg und mich der Vergangenheit stellen. In drei Tagen.
Jetzt allerdings wollte ich der aktuellen Lage ins Gesicht sehen.
54. DAS GROSSE ZITTERN
Look for the silver lining
whene’er a cloud appears in the blue.
Remember somewhere the sun is shining,
and so the right thing to do is make it shine for you.
Jerome Kern
D er alte Hellweg, die Reichsstraße Nummer eins, war das angenehmste Stück dieser Rallye. Mac war diese Route vor Jahren oft gefahren, als er den Oberstabsarzt von Berlin zu seinen Kontrollbesuchen in den Lazaretten chauffiert hatte. Der Ford brummte gleichmäßig. Mac hielt einen mäßigen Abstand zu Chester und Beau, die vor ihm fuhren, und sah hin und wieder zu Hans, der zusammengesunken auf dem Sitz neben ihm schlief. Waldgruber konnte ihm kein leichtes Beruhigungsmittel gegeben haben, oder Hans hatte eine zu hohe Dosis genommen. Mac machte sich allmählich Sorgen um seinen Freund. Seit Stunden schlief er nun schon, ohne sich zu rühren.
Kurz vor Magdeburg würde er versuchen, ihn aufzuwecken.
Helmstedt lag vor ihnen, und an
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