Tropfen im Ozean
legen, Bachblüten gegen die Aufregung zu schlucken und besondere Gebete zu sprechen. Für sie gab es nichts, was nicht mit Liebe zu lösen wäre. Liebe, so sagte sie immer, ist die größte Macht überhaupt. Wir alle sind aus Liebe gemacht, kommen aus der Liebe, und gehen wieder dahin zurück - Liebe vermag alles, heilt alles, kann alles. Dann redete sie von aufgestiegenen Meistern und Engelsenergien, vom Aufbau ihrer Merkaba, die sie vor negativen Einflüssen schützt, und von Seminaren mit philippinischen Typen und Wunderheilungen, bei denen ein Bekannter von ihr gesehen hatte, wie irgendetwas Blutiges das Klo hinuntergespült wurde und der Patient ohne jede OP seinen zwei Kilo schweren Tumor einfach so losgeworden sei. Ich weiß noch, wie erschüttert sie kurz danach gewesen war, dass ihr das bei einer simplen Warze nicht auch gelang. Die hatte sie ganz gewöhnlich vereisen müssen, nachdem selbst das Besprechen bei Vollmond versagt hatte - und die Merkaba schien sie nicht vor den ewig falschen Typen zu schützen, denn sie liierte sich stets mit miesepetrigen Ökotypen, die alle Politiker und Industriellen der Welt hassten und auf jeder Demo zu finden waren. Während des Studiums hatte sie dann Ralf kennen gelernt, der, solange ich denken konnte, Hassreden gegen Materialisten, Umweltsünder, Schulmediziner und Pharmaunternehmen von sich gab.
Natürlich war sie auch schon in Indien gewesen, im Land der Meditation und hatte sich den halben Himalaya hinaufgequält, was eine bewusstseinserweiternde Erfahrung gewesen sei. Und das ganz ohne Drogen! Und da... da habe sie Liebe pur gespürt, da auf dem Berg, in der Stille, dem Wind, der Natur. Da habe sie gespürt, wer sie wirklich sei. Also ist sie nicht gar nicht Elisha, sondern jemand ganz anderes? Jedenfalls war sie als welt-ablehnende und von der eisigen Klimaanlage des Flugzeuges erkältete Elisha wieder zurückgekommen. Aber wenn Elisha krank ist, dann sind das immer Reinigungsprozesse, die Shakti arbeite in ihr, aber sie ist um Gottes Willen nicht krank, denn Menschen, die von Liebe durchdrungen sind, bieten ja keine Fläche fürs Kranksein. Wenn sie gesundheitlich nicht auf der Höhe war, erschienen mir ihre Erklärungen dazu geradezu panisch – als wolle sie sich und mir klarmachen, sie sei trotzdem ein guter Mensch und spirituell hochwertig. Zu jedem Krankheitsbild hatte sie die seelische Zuordnung – ihr Buch mit den Affirmationen immer dabei. Und sie wurde nicht müde, herauszufinden, was es bedeutet, wenn Gerda heiser ist und Bernd trotz seiner 30 Jahre Pickel bekommt. Ein Schnupfen ist nicht nur einfach ein Schnupfen – man hat die Nase voll von etwas. Ein Pickel ist ein Wutanfall des Körpers, ist jemand kurzsichtig, hat er keinen Weitblick (logisch), schneidet sich jemand in den Finger, verletzt er sich selbst – okay, die letzten Punkte hätten wir auch ohne ihr Buch geschnallt.
Menschen, so meinte sie, die auf dem richtigen Weg sind, sind immer glücklich, frei von Sorge und Pein, unabhängig von äußeren Umständen. Sie sind ausschließlich von Gleichmut und bedingungsloser Liebe beseelt. Nichts vermag sie aus ihrer inneren Gelassenheit zu holen.
Aber ich hatte sie schon heftig auf dem Klo heulen hören. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht sehnte sie sich auf den Himalaya zurück. Vielleicht war das dort ohne nervende, herausfordernde Menschen um sie herum viel einfacher.
Trotzdem – ich mochte Elisha. Ich glaubte an ihre Ideen von einer universellen Liebe, davon, dass es viel mehr gibt, als das, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Sie schien nur selber oft genug zu zweifeln, weil manches nicht so funktionierte, wie sie sich das dachte. Oder wie es in ihren Büchern stand. Oder weil sie ihren eigenen Perfektionsansprüchen nicht genügte. Aber sie war lieb, wenn auch etwas verdreht, ein bisschen wie die Luna aus Harry Potter. Man konnte alles von ihr haben und sie war die beste Zuhörerin, die man sich vorstellen konnte: Sie senkt ihre Augen in die deinen und du vergisst, dass ihre Kommentare oft nur aus esoterischen Standardfloskeln bestehen. Außerdem hatte sie ein unglaublich gutes Gehör, ein phänomenales Gedächtnis für Musikstücke... sowie einen Superjob bei einem begehrten Sender erhalten... aber wer weiß, vielleicht konnte sie mir zumindest mit einer Adresse weiterhelfen. Es war vormittags und ich erwartete den Anrufbeantworter. Aber Elisha war zuhause.
„Urlaub?“ fragte ich vorsichtig.
Schweigen am anderen Ende
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