Tropfen im Ozean
der Leitung.
„Na, komm schon, Elisha, was ist los?“ fragte ich geradeheraus und sie brach in Tränen aus.
Sie habe ihren Job verloren... am Anfang sei alles gut gelaufen, aber dann habe ihr Freund gesagt, es sei Scheiße, dass sie für etwas so Kommerzielles wie diesen Sender arbeite und die Welt damit schädige. Sie müsse ihren Beitrag zur Erhaltung der Weltordnung, der Umwelt und der Ethik leisten, ihre Talente dafür einsetzen, alles andere wäre Verrat am Planeten. Er hatte ihr klargemacht, dass sie kündigen müsse und dass sie sofort danach einen Job bekommen würde, den sie moralisch vertreten könne. Das Universum würde sie unterstützen! Und außerdem käme es doch gar nicht auf Geld an.
Ich runzelte die Stirn, als ich all das hörte.
„Und du hast echt gekündigt?“ fragte ich verblüfft. „Diesen Job? Mit diesen Aufstiegsmöglichkeiten?“
„Jaaa!“ rief Elisha weinerlich. „Ich meine, Ralf hat ja Recht... es ist blanker Kommerz... aber irgendwie mag mich das Universum nicht, vielleicht hab ich in meinem letzten Leben etwas falsch gemacht... oder in diesem... jedenfalls hab ich keinen Job danach bekommen... und wir müssen ausziehen, weil ich die Miete nicht zahlen kann!“
„Ausziehen? Aber deine Wohnung kostet doch nicht viel. Das ist eine Studentenbude. Du hast doch die Jahre über gut verdient! Und überhaupt – was ist mit Ralf...?“
„Ralf hat auch keinen Job“, sagte sie. „Er sagt, er will nicht, dass das System sich an ihm bereichert. Er lebt von Hartz IV“.
„Okay, er macht es umgekehrt – er bereichert sich am System“, rutschte es mir bissiger raus, als ich wollte.
„So darfst du das nicht sehen. Ralf hat Philosophie studiert... er hat echt Ahnung... und will nur das Beste für die Welt“.
„Hm“, machte ich und dachte mir mein Teil. „Heißt das jetzt, du bist nicht bereit, dich im System zu engagieren?“
„Wie meinst du das?“
„Na, ich frage mich gerade, was du machen würdest, wenn ich dir einen Job anbieten würde“.
„Du hättest eventuell einen Job für mich?“
„Nein, konkret: Ich habe einen Job für dich.“
„Aber das ist ja super! Super! Super!“ Elishas glockenhelle Stimme jubelte durchs Telefon. „Du wirst es nicht glauben, aber das kann kein Zufall sein! Erst neulich hab ich ein Foto von uns beiden gefunden und an dich gedacht ... das kann kein Zufall sein!“
Ich wollte erwidern, dass es üblich ist, an jemanden zu denken, wenn man sein Foto sieht, als sie abrupt verstummte.
Geflüsterte Stimmen drangen an mein Ohr. Anscheinend war der Hartz IV-Philosoph auch zu Hause und hatte alles mit angehört.
„Äh... kann Ralf zum Bewerbungsgespräch mitkommen?“ fragte sie dann und ich seufzte leise. Auf den Typen hatte ich wenig Lust. Aber ich musste ihn wohl in Kauf nehmen, wenn ich Elisha haben wollte. Und es war ein absoluter Glücksfall, dass sie frei war.
Ich habe mich oft gefragt, ob Rob Elisha anders behandeln würde, wäre Ralf nicht beim ersten Termin dabei gewesen. Denn von dem Moment an, wo er sie das erste Mal sah, war er pampig zu ihr, kramte seine übelsten Witze aus und piesackte sie, wo er nur konnte.
Da ich Elisha persönlich kannte, hatte ich keine Unterlagen von ihr angefordert und Rob nur informiert, dass sich heute ein Tontechniker vorstellen und ich ihn bei dem Gespräch gerne dabei haben würde.
Das erste, was also Rob zur Tür herein kommen sah, war ein Pendel, das wie wild hin und herschwang und von knöchernen roten Händen gehalten wurde. Es folgten zwei spindeldürre Arme im recycelten Hemd, Ralfs verkniffenes, ausgemergeltes Gesicht mit den verhungerten Augen hinterher.
„Der Wahnsinn“, sagte er dauernd, ohne auf uns zu achten oder gar zu grüßen „Das ist der Wahnsinn hier... guck mal, wie das ausschlägt! Nur negative Schwingungen! Kein Wunder bei all dem strahlenden Kram hier! Der Wahnsinn!“
Hinter ihm tauchte Elishas elfenhaftes Gesichtchen auf, ebenso wie ihr Freund in pestizidfreie, sackähnliche Naturfaser gehüllt, die ihre Figur völlig verbarg, braune Gesundheitsschuhe an den Füßen, in der Hand die Papiertasche eines Bioshops.
Ich blickte kurz zu Rob. Bei Ralfs Anblick schien ihm der Kiefer festgefroren zu sein, aber als er Elisha sah, verdunkelten sich seine Augen in einer Weise, wie ich das noch nie zuvor bei ihm bemerkt hatte und er wich leicht zurück.
„Hi, Elisha!“ rief ich gekünstelt heiter, um den peinlichen Augenblick zu übertünchen.
„Oh, Gott, wie
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