Tropfen im Ozean
ließ es für ihn schlagen.
***
„Kaffee?“
Herausgerissen aus meinen Gedanken blickte ich auf. Rob stand vor mir, in einer löchrigen Jeans, seinen ausgedienten Sakteschuhen und einem dampfenden Pott Koffein.
„Oh, gut“, lächelte ich. „das heißt, Zeit, was zu tun, oder?“
„Du hast es erfasst“, nickte Rob. „Wenn ich heute noch ein paar Sprünge über die ledge machen will, sollten wir uns sputen. J hat jede Menge Kram eingekauft.“
„Oh mein Gott, hat er noch mehr Aufträge dazu geschaufelt?“
„Hat er, Mäuschen, exakt!“ Rob schwenkte den Auftragsblock.
„Was denn, zeig mal her!“
Rob wedelte mit dem Heft und schlug es dann auf.
„Eine Bäckerei, deren Chef sich ein Denkmal setzen will, 50 Jahre Bestehen und so... eine Firma, die ein überirdisches Bohr-und Fräswunder gekauft hat und ihren Kunden klarmachen möchte, dass sie nur noch bei ihnen fertigen sollen... tja,... und dann...“
„Was? Noch was? Das sind allein schon Monate!“
„Yo, unser J ist fleißig zurzeit! Guck mal, was er hier hat!“
Feixend legte er mir das Auftragsblatt hin. Verständnislos schaute ich drauf.
„Das ist ein einfaches Porträt“, sagte ich und schob den Block zurück. „Eine 46-jährige Frau, die ihren Laden vorstellen will... he, Moment mal, oh, Gott... was ist das?“
Rob grinste sich einen ab. Unten am Auftragsblatt stand mit Joes steiler Handschrift:
„Die Frau hat irgendwas von Kirlian oder Kilian-Fotografie gefaselt (keine Ahnung, was das ist! Macht euch mal schlau!) und mich gefragt, ob wir in der Lage sind, Engelsenergien per Kamera einzufangen. Ich hab verdammt nochmal ‚ja’ gesagt – lasst euch was einfallen!“
***
„Gott, schau dir die Braut an. Die ist so was von hässlich“, krittelte Bernd, den wir gerade für die nächste Hochzeit instruierten. „Sag nicht, dass ich diese Hochzeit filmen soll!“
„Ey Mann, reiß dich zusammen“, sagte Rob. „Schau lieber, dass du was Positives findest, das erfordert weit mehr Intelligenz als die Makel zu sehen. Na, los, streng dich an! Was gefällt dir an der Frau?“
„Mann Gottes, ehrlich, Handtuch drüber, und selbst dann würd’s mir schwerfallen“, antwortete Bernd. Rob lachte.
„Wie sieht denn der Mann dazu aus?“, fragte Bernd und stöberte in den Fotos. „Ne, echt, das ist er? Der hätte doch Chancen bei den Mädels!“ In ehrlicher Verwunderung blickte er zu uns.
„Solche Ehen halten oft länger als andere“, sagte Rob. „Ach ja, übrigens... kennst du den schon, wo er sie fragt: ‚Was würdest du tun, wenn ich im Lotto gewinnen würde?’
„Nee“, grinste Bernd. „Erzähl!“
„Also, er fragt sie: Was würdest du tun, wenn ich im Lotto gewonnen hätte?
Sie: Ha, ich würde mir die Hälfte nehmen und dich dann verlassen!
Er: Prima, ich hab zehn Euro gewonnen. Hier sind fünf - und jetzt verpiss dich!“
Wir lachten schallend und guckten dann wieder pflichtbewusst auf die Fotos. Rob hob eines davon hoch.
„Denkt euch mal die Glasbausteine weg, die sie vor den Augen hat“.
Bernd und ich sahen zeitgleich auf die Augen der Frau. Ihre Brille wirkte wie ein Vergrößerungsglas: Das Weiße stach überdimensional hervor und bescherte ihr Fischaugen. Man fokussierte automatisch nur das und übersah alles andere.
„Du musst sie dazu bringen, die Brille abzunehmen. Hast du schon mal so eine Farbe gesehen? Sie hat Liz Taylor Augen! Vielleicht kannst du sie sogar davon überzeugen, es mit Kontaktlinsen zu versuchen – sie hätte noch einen Monat Zeit, sich dran zu gewöhnen. Und hier...“ Robs Finger rutschte auf dem Foto nach unten. „Schau dir mal dieses Dekolleté an! Echt wow, oder?“
Er hatte Recht. Unser Blick fiel auf einen schneeweißen, fülligen, prallen und samtweichen Brustansatz. „Das ist noch nicht alles...“, fuhr Rob fort. „Guck mal...ihre Hände. Superschlank, lang und gepflegt... sie hat schöne Zähne und einen schönen Mund“.
Bernd sah auf das Foto. „Meinst du, wir könnten sie dazu bringen, die Frisur zu lockern?“ fragte er dann. Wenn das Haar nicht so streng gescheitelt ist und sie keinen Dutt trägt... falsche Wimpern... oder kräftig Tusche... Khol unter die Augen...“
Ich staunte. Mit ein paar Sätzen, ein paar Details hatte Rob Bernd auf seine Seite gezogen und die Schönheiten einer Frau herauskristallisiert, die wohl nur wenige sahen.
„Mann“, sagte Bernd. „Wenn wir ne Visagistin hätten... stellt euch mal vor... das käme doch
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