Trübe Wasser sind kalt
dem Polizeirevier verlor sich die Marinekaserne in weiträumigem, deprimierendem Schrottgelände, das von einem stacheldrahtbewehrten, rostigen Zaun umgeben war. Inmitten dieser riesigen Fläche, wo überall Metall herumlag und das Unkraut nur so wucherte, befand sich ein Kraftwerk, das anscheinend Müll und Kohle verbrannte, um den Schiffsfriedhof mit Energie für sein trostloses und träges Geschäft zu versorgen. Schornsteine und Gleisanlagen waren heute nicht in Betrieb, alle Kräne am Trockendock standen still. Schließlich war Silvester.
Ich fuhr auf das Hauptquartier zu, einen Bau aus langweiligen, rotgrauen Hohlblocksteinen, hinter dem sich lange, gepflasterte Kais erstreckten. Am Wachtor trat ein junger Mann in Zivilkleidung und mit Schutzhelm aus seinem Häuschen. Ich ließ das Fenster herunter. Am windgepeitschten Himmel wirbelten die Wolken vorbei.
»Dies ist militärischer Sicherheitsbereich.« Er verzog keine Miene.
»Ich bin Dr. Kay Scarpetta, Chief Medical Examiner«, sagte ich und hielt meine Messingplakette hoch, das Symbol dafür, daß ich bei jedem plötzlichen, unbeobachteten, unerklärlichen oder gewaltsamen Todesfall im Bundesstaat Virginia juristisch zuständig war.
Er beugte sich vor und studierte meine Beglaubigung. Ein paarmal blickte er mir ins Gesicht und starrte auf meinen Wagen. »Sie sind der Chief Medical Examiner?« fragte er. »Wie kommt es dann, daß Sie keinen Leichenwagen fahren?« Ich hatte das schon öfter gehört und antwortete geduldig: »Leute, die in Bestattungsunternehmen arbeiten, fahren Leichenwagen. Ich arbeite nicht in einem Bestattungsunternehmen. Ich stelle die Todesursache fest.«
»Ich brauche noch einen anderen Ausweis von Ihnen.« Ich gab ihm meinen Führerschein und hatte keine Zweifel mehr daran, daß solche Art von Einmischung nicht aufhören würde, nachdem ich eine Durchfahrtsgenehmigung bekommen hatte. Er trat ein paar Schritte von meinem Auto zurück und hob ein Funkgerät an die Lippen.
»Einheit elf an Einheit zwei.« Er drehte sich von mir weg, als würde er gleich eine Geheimsache durchgeben. »Zwei«, kam krächzend die Antwort.
»Ich hab eine Dr. Scaylatta hier.« Er sprach meinen Namen so. falsch wie kaum jemand. »Tenfour. Bereit.«
»Ma'am«, sagte der Wachtposten zu mir, »fahren Sie einfach geradeaus, dann kommt rechts ein Parkplatz.« Er deutete mit der Hand in die Richtung. »Sie stellen Ihren Wagen dort ab und gehen zur Pier Zwei, wo sie Captain Green erwartet. An den müssen Sie sich wenden.«
»Und wo finde ich Detective Roche?« fragte ich. »Sie müssen sich an Captain Green wenden«, sagte er noch einmal.
Ich kurbelte das Fenster wieder hoch, während er ein Tor öffnete, auf dem Schilder mir verkündeten, daß ich nun Gelände betrat, wo Gefahr drohte von Farbsprühfilm, Sicherheitsausrüstung verlangt und Parken nur auf eigenes Risiko erlaubt war. In der Ferne ragten graue Frachter, Panzerlandungsschiffe, Minensucher, Fregatten und Tragflächenboote bedrohlich in den kalten Himmel. Auf der zweiten Pier hatten sich Rettungswagen, Polizeiautos und einen kleine Menschengruppe eingefunden.
Ich stellte meinen Wagen wie befohlen ab und schritt dann forsch auf sie zu. Sie starrten mir entgegen. Ich hatte meine Arzttasche und die Tauchausrüstung im Auto gelassen und lieferte ihnen so das Bild einer Frau mittleren Alters mit leeren Händen, in Wanderstiefeln, Wollhose und armeegrünem Mantel. Kaum hatte ich den Kai betreten, schnitt mir ein kultiviert aussehender, uniformierter Mann mit grauen Schläfen den Weg ab, als wäre ich unbefugt auf das Gelände eingedrungen. Ohne den Anflug eines Lächelns trat er mir entgegen. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte er in einem Ton, der mir Halt gebot. Der Wind hatte seine Haare aufgerichtet und seine Wangen gerötet.
Ich erklärte noch einmal, wer ich war.
»Ah gut.« Er klang eindeutig nicht so, als meinte er dies. »Ich bin Captain Green vom Navy Investigative Service. Wir müssen wirklich mit der Sache vorankommen. Hör zu«, er wandte sich von mir ab und sprach zu jemand anderem. »Wir müssen diese KDs wegschaffen…«
»Entschuldigen Sie? Sie sind vom NIS?« schaltete ich mich ein, denn das mußte sofort geklärt werden. »Ich war der Meinung, daß dieses Gelände nicht der Navy gehört. Wenn es Navy-Gelände ist, dann ist meine Anwesenheit nicht erforderlich. Dann ist das ein Navy-Fall, und die Autopsie sollte ein Pathologe der Navy vornehmen.«
»Ma'am«, sagte er, als wollte ich
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