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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Denn dafür müsste er seinen anderen Arm von der Hand seiner Begleiterin lösen. Anna von Veckinhausen jedoch zittert ebenfalls, als ob das Eis eine beunruhigende Erinnerung auslöste.
    »Lassen Sie uns nicht hier stehen bleiben, sondern die Alster entlangschlendern«, bittet sie.
    Stave stimmt erleichtert zu – und bevor er es richtig begriffen hat, verändert er sich. Vielleicht, weil er, der darin keine Übung hat, plötzlich zum Flaneur geworden ist. Die Promenade am Wasser ist zugleich zielgerichtet und ziellos, weil man am Ufer entlangwandert und einen genau bestimmten Weg abgeht, und weil ebenjener Weg sinnlos ist: eine Promenade, zu Ende gegangen, führt an ihren Ausgangspunkt zurück. Dieses unbeschwerte Gehen, Tun und Nichtstun zugleich, löst einen Knoten in seiner Seele. Und so redet der Oberinspektor plötzlich, er weiß nicht genau, wie er damit angefangen hat und schon gar nicht, warum, aber er spricht von seinem Sohn in Sibirien und davon, wie sie sich gestritten haben, in jenem Frühjahr 1945, als er zur Front ging. Von der Verachtung und dem Idealismus des Jungen, so schrecklich fehlgeleitet, so schmerzhaft echt. Von Margarethe und der Bombennacht vor vier Jahren. Und er spricht vom Trümmermörder, der ein Kollege ist. Von einer jüdischen Familie, die flieht, weil sie eine neue Heimat erreichen will, und die im Frost gestrandet ist, in einer feindlichen Stadt. In einer Stadt, in der ein Mörder umgeht, dessen Schicksal mit dem der Familie verbunden ist. Von Lothar Maschke, der eigentlich Hans Herthge heißt, von dem er inzwischen vieles, wenn auch nicht alles weiß – und den er nicht fassen kann. Was nützt es, Wissen zu erwerben, wenn das Wissen folgenlos bleibt?
    Sie erreichen das Ende des Ballindamms, doch statt von dort auf den Jungfernstieg abzubiegen und die Binnenalster weiter entlangzugehen, drehen sie um, gehen denselben Weg zurück. Sie haben kein Wort darüber verloren, doch beide sehen, dass am Jungfernstieg Hunderte Spaziergänger Kreise ziehen. Der Ballindamm mit seinen verlassenen Loren ist leerer.
    Noch einsamer ist es jenseits dieser Straße. Sie queren die Lombardsbrücke, die Binnen- von Außenalster trennt. Die weitet sich zum See, die Ufer sind schilfbestanden. Das zuckerbäckerhafte Weiß des Atlantic spiegelt sich im Wasserfilm auf dem Eis. Die meisten Häuser unmittelbar hinter dem Luxushotel sind zerbombt, doch die Zone der Verwüstung endet nach ein paar hundert Metern: Villen säumen Richtung Norden das Grün – niedriger als die Prachtbauten an der Binnenalster, diskreter auch, da entfernter vom Wasser erbaut und hinter Büschen und Bäumen verborgen: von den Briten requirierte Anwesen, und die haben es nicht nötig, ihr Holz im eigenen Garten zu schlagen.
    Sie schlendern Richtung Norden. Die Sonne steht schon tiefer, ihr Licht ist golden und warm. Stave, erschöpft und leicht beschämt, hält endlich inne. Anna von Veckinhausen weiß, so scheint es, nun alles von ihm. Von ihr hingegen weiß er noch immer fast nichts. Sie hat ihn schweigend begleitet, doch er ist überzeugt, dass es eine wohlwollende Stille ist.
    Sie bleiben kurz hinter dem Atlantic stehen. Eine Weide zu ihrer Rechten schirmt sie mit einem Schleier feiner, kahler Äste von der Straße und den Villen ab, wie ein zerschlissener Vorhang. Die Sperrstunde rückt näher, sodass die wenigen Spaziergänger, die diesen Weg gewählt haben, langsam zwischen den Häusern verschwinden. Die Alster ist leer und weit.
    »Verzeihen Sie, dass ich so viel geredet habe«, murmelt Stave verlegen. »Das ist sonst nicht meine Art.«
    »Dann habe ich ja heute Glück gehabt«, erwidert sie. »Denn ich habe gerne zugehört.«
    »Ich wüsste aber nicht, was ich Ihnen jetzt noch erzählen könnte.«
    »Wenn ein Mann einer Frau nichts mehr sagen kann, dann soll er sie küssen.«
    Stave glaubt, sich verhört zu haben. Doch da legt ihm Anna von Veckinhausen beide Arme um seinen Nacken und zieht ihn zu sich heran.
    Ihr Tag endet in einer Absteige: Hotel Pension Rudolf Prem hat jemand auf ein Holzschild gemalt, das über der Tür des einzig unzerstörten Hauses zwischen Atlantic und dem Villenviertel hängt. Sie sind zu hungrig aufeinander, als dass sie den weiten Weg bis zu Staves Wohnung hätten zurücklegen wollen. Die Nissenhütte mit ihren Wänden aus alten Stoffen kommt sowieso nicht in Frage. Und für das Atlantic fehlt ihnen das Geld.
    Also bucht Stave in der Pension Prem ein Zimmer, legt ein paar Reichsmarkscheine auf

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