Trugschluss
Göppinger
Bereitschaftspolizei die Wiesen rund um den Fundort der verbrannten Leiche
durchsucht hatte, wurden weder Spuren noch irgendwelche Gegenstände gefunden.
Noch in der Nacht war auch der Göppinger
Kripo-Chef Helmut Bruhn vor Ort geeilt, um sich informieren zu lassen.
Daraufhin hatte er angesichts der mysteriösen Umstände entschieden, eine Sonderkommission
einzurichten. Sofort wurde ein Dutzend Kriminalisten aus den Betten geklingelt,
allen voran Hauptkommissar August Häberle, dem die Leitung übertragen wurde.
Häberle galt als einer der fähigsten Kriminalisten weit und breit, war knapp
über 50 und einer, der sich mit der Mentalität der Schwaben bestens auskannte.
Kein Draufgänger, keiner, der sich mit Ellbogen hochgedient hatte, kein
Schwätzer, sondern einer, der sich stets vor Ort ein Bild verschaffen wollte,
der sich nie zu schade war, »an die Front zu gehen«, wie er auch den jungen
Kollegen stets empfahl. Jahrelang hatte er beim Landeskriminalamt in Stuttgart
die kniffligsten Fälle gelöst, bis er vor kurzem wieder freiwillig in die
heimische Provinz zurückgekehrt ist. Häberle galt im Umgang mit dubiosen und
mysteriösen Angelegenheiten als äußerst versiert. Sein Wissen, seine
Menschenkenntnis, seine Art, wie er Verdächtige und Opfer behandelte, seine
endlose Geduld – das alles war nicht nur vorbildlich, sondern landauf, landab
schon legendär. Ob seiner Leibesfülle wurde er oftmals von seinen Gegnern
unterschätzt, wenn sie plötzlich flüchten wollten und nicht damit rechneten,
dass dieser Kommissar blitzschnell sein konnte und Bärenkräfte entwickelte.
Schließlich trainierte er seit Jahr und Tag die jungen Judoka von Frisch-Auf
Göppingen.
Es war 2 Uhr, als er in dieser kalten
März-Nacht in Geislingen eintraf, wo in aller Eile die technischen und
logistischen Voraussetzungen für eine Sonderkommission geschaffen wurden.
Er ließ sich von dem sichtlich übermüdeten
Walda und weiteren Kollegen schildern, was geschehen war. Einige tippten
Protokolle in die Computer-Tastaturen, andere uniformierte Kollegen von der
Wache versorgten die Kriminalisten mit Kaffee.
Nachdem er sich einen ersten Überblick
verschafft hatte, schickte Häberle die Beamten, die seit Stunden auf den Beinen
waren, nach Hause. Er würde sich jetzt, so weit dies mitten in der Nacht
möglich war, sämtliche Vermissten-Meldungen der letzten Wochen aus dem ganzen
Lande auflisten lassen.
In den Vormittagsstunden, als sich Häberle nun auch hundemüde
fühlte, lagen die ersten Erkenntnisse vor. Der Kriminalist rief seine Kollegen
im schlichten, weiß möblierten Lehrsaal zusammen, wohin er von einer Sekretärin
des Reviers frische Brezeln und Kaffee hatte bringen lassen. Rund ein Dutzend
überwiegend junge Männer lehnte an den Fenstersimsen oder an den Wänden, als
Häberle mit gewissem Stolz verkündete: »Kollegen, wir wissen, was es mit dem
Golf auf sich hat. Das Volkswagenwerk in Wolfsburg hat bereits mitgeteilt, dass
der Wagen am 9. August 1993 in die Schweiz exportiert wurde, genauer gesagt,
nach Lugano im schönen Tessin.« Häberle blätterte in einem Notizblock, während
die Kollegen an ihren Brezeln knabberten.
»Die Jungs im Tessin«, machte der
Kriminalist weiter, »sind ebenfalls sehr kooperativ. Sie haben herausgefunden,
dass der Wagen zuletzt auf eine Firma in Agno zugelassen war, liegt gleich
neben Lugano – beim Flughafen.« Häberle machte eine kurze Pause, um sich auf
seinem Blatt zu orientieren. »War wohl irgendein Kurierdienst, der im
vergangenen Oktober Pleite gemacht hat. Den gesamten Fahrzeugpark hat dann der
Konkursverwalter stillgelegt und sollte ihn verkaufen. Seither war der Golf
nicht mehr zugelassen und zusammen mit gut und gern 20 anderen Fahrzeugen auf
dem Firmengelände abgestellt.«
»Also hat ihn jemand geklaut und ist damit
zu uns auf die Alb kutschiert«, stellte ein jüngerer Beamter fest und
überlegte: »Die Theorie, da könnte einer Selbstmord begangen haben, dürfte
damit endgültig hinfällig sein.«
Häberle nickte. »Daran hab ich heut Nacht
schon nicht mehr geglaubt. Denn dann hätte der Schraubverschluss für den
Benzinkanister noch irgendwo rumliegen müssen.«
Ein weiterer Beamter, der mit vollem Mund
sprach, fragte: »Kann man zur Leiche schon etwas sagen?«
Häberle schüttelte den Kopf. »Frühestens
bis zur Mittagszeit, meinen die Kollegen in Ulm.«
8
Im Tessin strahlte die Frühlingssonne. Sie ließ den Luganer See so
glitzernd und tief blau
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