Trugschluss
Verbrennen sind nicht festzustellen.«
Die Kriminalisten nickten schweigend. Sie
alle wussten aus Erfahrung, wie eine verkohlte Leiche aussah.
Häberle fuhr fort: »Was die Kollegen der
Gerichtsmedizin stutzig macht, ist die Art und Weise, wie die Leiche verbrannt
ist. Egal, ob sich dieser Mensch nun selbst mit Benzin übergossen und
angezündet hat, oder ob es einen Täter gibt – sicher ist eines: Allein damit
hätte die Leiche nicht so gewaltig gebrannt, wie sie es offenbar getan hat. Es
hätte, so meinen die Ulmer Kollegen, eines lang anhaltenden Feuers drumrum
bedurft, wie etwa, wenn sie in einer lichterloh brennenden Scheune gelegen
wäre. Sonst müsste der Leichnam ziemlich schnell erloschen sein.«
Betretenes Schweigen.
Linkohr, unrasiert wieder gekommen, brach
die Stille: »Aber nach einem heftigen Feuer hat’s ja da oben wohl nicht
ausgesehen.«
Häberle nickte. »Eben. Die Grasnarbe drum
rum war kaum angegriffen – wenn ich das aus ihren Bildern richtig deute.« Er
wollte keinen weiteren Kommentar dazu abgeben, sondern zunächst Informationen
erteilen: »Die chemischen Analysen des verwendeten Brandbeschleunigers stehen
noch aus. Aber nach Lage der Dinge war’s wohl Benzin, zumindest hat der
Kanister danach gerochen. Die Kollegen werden noch rauskriegen, um welche
Benzinmarke es sich gehandelt hat. Ist heutzutage kein Problem.«
9
Claudia, die junge Berlinerin, hatte wieder ihre engen Jeans und
diesmal einen knallroten Strickpulli angezogen. Das Frühstück in ihrem
Appartement war eher spärlich ausgefallen, doch sie und Jens wollten möglichst
rasch zu Armstrong gehen. Der junge Mann allerdings hatte zum Leidwesen von
Claudia darauf bestanden, noch seinen ehemaligen Physik-Lehrer zu Rate
zuziehen, den er als einen väterlichen Freund ansah. Er bekam ihn an diesem
Morgen auch gleich ans Telefon.
»Einen wunderschönen guten Morgen, Bruno«,
begann Vollmer das Gespräch und erklärte, dass er sich gerade im Tessin
aufhalte und einen Traumjob angeboten bekommen habe.
»Na also – hab ich zu viel versprochen?«,
unterbrach ihn der positiv gestimmte Gesprächspartner.
»Wahrscheinlich nicht«, räumte der junge
Mann ein und blickte aus dem Fenster des Appartements, während Claudia in ihrer
Handtasche kramte und nicht so recht verstehen wollte, warum Jens noch für
dieses Telefonat Zeit verlor. »Aber trotz allem«, sagte er, »trotz allem klingt
das alles ein bisschen geheimnisvoll.« Er überlegte kurz. »Aber es ist schon
so, dass du mir dies guten Gewissens empfehlen kannst?« Seine Zweifel waren
unüberhörbar.
»Klar doch«, erwiderte Bruno, »du solltest
wissen, große Projekte unterliegen immer strengster Geheimhaltung. Lass dir’s
in Ruhe erklären. Ich bin mir absolut sicher, du bist der richtige Mann! Ich
hätt’s dir sonst nicht empfohlen.«
Jens fühlte sich geschmeichelt. Wenn sein
ehemaliger Lehrer Bruno dies sagte, konnte er darauf vertrauen. Er bedankte
sich für das kurze, aber aufbauende Gespräch. Claudia drückte ihm einen Kuss
auf die Stirn. »Überzeugt?«, hauchte sie. Er lächelte, als er ihr aus der
Wohnung hinaus folgte.
Das Wetter war frühlingshaft. Allerdings
reichten die Strahlen der Sonne noch nicht in die engen Gassen Luganos hinein.
Die beiden jungen Leute schlenderten deshalb zur Uferpromenade hinaus, an der
sie sich links hielten und geradewegs in die herrliche Parkanlage gelangten, wo
in den großzügigen Blumenrabatten bereits die ersten Frühlingsblüher für
Farbtupfer sorgten. Hier scharten sich Touristen um das schwimmende
Kirchenmodell San Carlino, das seit 1999 an den 400. Geburtstag des aus Bissone
am Luganer See stammenden Barockbaumeisters Francesco Borromini erinnerte.
Die altehrwürdigen Bäume schoben dicke
Knospen, an einigen war das frische Grün schon entfaltet. Schwäne und Enten
tummelten sich am Ufer, in das die weit ausragenden Äste hingen. Jenseits der
glitzernden Wasseroberfläche war der San Salvatore in feinen Morgendunst
gehüllt.
Die Zahl der Fremden nahm in diesen
März-Tagen bereits deutlich zu. Jens hatte seinen rechten Arm um Claudias
Schulter gelegt, als sie durch den Park spazierten, der ihnen mit jedem Atemzug
die Frische einer erwachten Natur vermittelte.
»Ich freu mich, dass du’s tust«, sagte
Claudia und blickte Jens von der Seite an. Er hatte sich durchgerungen, die
Chance, die sich ihm da bot, zu ergreifen. Auch Claudia zuliebe.
Dennoch zeigte er sich noch ein bisschen skeptisch.
»Aber Armstrong muss
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