TS 21: Die Überlebenden
schlagen. Dave versuchte, sie zu beruhigen. Er hatte sie wahrscheinlich für härter gehalten, nach dem, was ich ihm von ihr erzählt hatte.
„Mir war es auch nicht angenehm“, setzte er hinzu, als könne er Ginette damit trösten.
Wir vermieden das heikle Thema und kamen auf notwendigere Dinge zu sprechen. Wohin wir fuhren, welche Route, ob es gut sei, London zu umfahren und wie wir nachts die Wachen einteilen sollten.
Von Dover bis London sind es etwa 110 km, aber auf der ganzen Strecke begegneten wir kaum einem Fahrzeug oder einem Menschen. Ich fragte Dave nach den Gründen.
„Bis vor ein oder zwei Monaten“, berichtete er sachlich, „glaubten viele Leute, auf dem Lande sei es viel sicherer als in der Stadt. Sie wurden jedoch enttäuscht, denn Paggets gibt es überall.“
„Und in den großen Städten?“
„Auch da, wie Sie wissen. Es ist dort auf der einen Seite sogar sicherer als auf dem Lande. Auf der anderen Seite jedoch …“, er zuckte mit der Schulter. „Nun, Sie werden ja sehen.“
„Ich weiß!“ bemerkte Ginette. „Paris!“
Zum ersten Mal gab sie zu, von Paris gekommen zu sein.
Es war unnötig, Dave oder Ginette zu fragen, was sie meinten. Obwohl ich auch in Amerika das Betreten größerer Städte vermieden hatte, mußten meine Erfahrungen mit Paggets intensiver sein als die ihren. Selbst heute, neun Monate später, gab es in England und Frankreich zusammengenommen nicht soviel Paggets wie damals allein in Chicago. Meine Vermutung, daß ich mehr über Paggets wisse als meine beiden Begleiter, sollte sich bald bestätigen.
Kurz vor Wrotham Heath und West Kingsdown trat ich so plötzlich und scharf auf die Bremse, daß der Wagen schleuderte, bevor er endlich anhielt.
„Was ist denn los?“ fragte Ginette und sah aus dem Fenster, ohne etwas Verdächtiges bemerken zu können.
Ich zeigte auf die blitzenden Glassplitter, die vor uns über die ganze Straße verstreut herumlagen.
„Darauf habe ich gewartet“, sagte ich dabei.
Dave hielt den Türgriff bereits in der Hand.
„Warten Sie!“ rief ich und hielt ihn fest. „Ich kenne das von Amerika her. Erinnern Sie sich daran, was wir über die Paggets und ihre Methoden sagten: sie warten, bis der günstigste Augenblick für sie gekommen ist, ehe sie angreifen. In Amerika war es das gleiche. Sie blockierten die Straße und warteten, bis das Auto anhielt und die Insassen irgendetwas Unüberlegtes anstellten.“
Ich beugte mich nach hinten und zog die leichte Sportbüchse aus dem Kofferraum.
„Dave“, fragte ich. „Können Sie schießen?“
„Nicht besonders gut“, gab er mißmutig zu.
„Dann werden Sie aussteigen und das Glas beiseite räumen müssen. Ich werde Sie vom Wagen aus decken.“
„Ist mir recht“, meinte er und nickte.
Viel Deckung blieb eigentlich nicht für die Paggets. Die Straße lag weit und breit vor uns, eine Gefahr war nirgends zu entdecken. Dave stieg aus und schob die Splitter mit den Stiefeln aus der Fahrbahn. Nichts geschah.
Dave kletterte wieder auf den Sitz neben mir, und wir fuhren weiter. Ich hatte das Gefühl, meine Vorsicht begründen zu müssen.
„Manchmal tun die Paggets so etwas nur, um den Menschen regelrecht zu ärgern. Manchmal aber tun sie es nach einem wohlüberlegten Plan. Hier im Wagen z. B. sind wir verhältnismäßig sicher. Erst wenn wir anhalten, werden wir verwundbar. Und werden wir gar gezwungen, unseren Weg zu Fuß fortzusetzen, sieht die ganze Sache noch schlimmer aus. Selbst dann, wenn jene Paggets, die das Glas streuten, nicht mehr in dieser Gegend verweilen, ist der Marsch für uns lebensgefährlich.“
Sie schienen nicht überzeugt zu sein, und ich gab es auf. Sie mußten eben erst ihre Erfahrungen machen, und die würden nicht lange mehr auf sich warten lassen.
Die ersten Vororte von London sahen aus wie immer. Lediglich der Verkehr fehlte. Wir hatten beschlossen, die Nacht über in London zu bleiben. Dave besaß in Nord-London einen Freund, in dessen Haus wir schlafen konnten.
Dieser Mann entpuppte sich als ein sehr freundlicher Herr, ebenfalls ein Zeitungsredakteur, der über Daves Besuch sehr erfreut schien und auch Ginette und mich willkommen hieß. Meine letzten Zweifel an Dave verschwanden.
Die beiden Zeitungsleute vertieften sich sehr bald in ein fachliches Gespräch, so daß Ginette und ich uns selbst überlassen waren. So beschlossen wir, uns London ein wenig anzusehen.
Ginette schien zwar nicht besonders erfreut, das in meiner Gesellschaft tun zu
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