TS 21: Die Überlebenden
ich fuhren aus den Kissen empor. Jemand hatte laut geschrien. Mit einem Satz waren wir aus dem Bett und rannten zum Nebenzimmer. Das Mondlicht beleuchtete eine gespenstische Szene.
Dave tanzte mitten im Raum umher, das Hemd und den Nacken blutbefleckt. Sein Freund lag unbeweglich im Bett, auf dem Gesicht den Ausdruck eines ängstlichen Kaninchens.
„Die Ratte ist natürlich weg?“ erkundigte ich mich, Daves Gefluche einfach unterbrechend. Er beruhigte sich sofort.
„Ich sah, wie sie davonhuschte. Woher wissen Sie denn, daß es nur die eine war?“
Wir fanden das Loch und verstopften es, obwohl das wenig Sinn haben würde. Ich fror und wäre am liebsten sofort zurück in mein Bett gegangen, aber die anderen zeigten noch zuviel Erregung, um schlafen zu können.
„Beinahe hätte es mich auch erwischt“, stellte Dave fest und wickelte ein Handtuch um seinen Hals.
Ich zündete eine Petroleumlampe an, damit er besser sehen konnte.
„Ich habe noch nie gehört, daß Pa-Ratten so etwas tun“, erklärte Dave empört und sah Ginette an. „Sie vielleicht?“
„Nein“, schüttelte sie den Kopf.
„Ich habe es allerdings gewußt“, sagte ich ernst.
„Können sie …“, begann Ginette und schluckte. Darm fuhr sie fort: „Können sie einen Menschen töten, ehe er aufwacht?“
Ich nickte.
„Pa-Ratten können mit einem einzigen Biß die Halsschlagader zerreißen, wenn sie sie finden. Und das kommt nicht allzuoft vor. Sie erhielten einen recht harmlosen Biß, Dave. Glück!“
Ich wäre immer noch gern ins Bett gegangen, aber die anderen ließen mich nicht. Jetzt auf einmal wollten sie alles über die Pa-Ratten wissen.
„Es ist unser Glück“, erzählte ich, da mir kein anderer Ausweg blieb, „daß die Ratten keine Nachrichten zu übermitteln vermögen wie wir Menschen. Jede einzelne von ihnen lernt, vielleicht demonstriert sie ihre Erfahrungen, aber dann stirbt sie, ohne ihre Nachkommen ebenfalls belehrt zu haben. Nur ist es so, das alle Paggets lernen, ohne Ausnahme. Und sie werden eines Tages auch lernen, wie man einen Menschen mit einem Biß zu töten vermag.“
„Diese hier versuchte es bereits“, knurrte Dave ergrimmt.
„Ganz recht, sie versuchte es – mehr aber auch nicht!“
Ich verschwieg, daß die gleiche Ratte es vielleicht noch fünf oder auch zehnmal versuchen würde, ehe sie es herausfand.
Ginette zitterte am ganzen Körper, und daran war nicht nur die im Zimmer herrschende Kälte schuld.
„Es ist schon schlimm genug zu wissen, daß zehn oder hundert Ratten dich töten können“, murmelte sie, „als daß wir nun noch erfahren müssen, daß die gleiche Aufgabe bald von einer allein bewältigt wird.“
„Man müßte einen Schlafpanzer konstruieren“, schlug Liverage aus den Bettdecken heraus vor.
„Müßte man, aber nicht mehr heute“, nickte ich und fügte hinzu: „Ich bin müde und gehe jetzt schlafen.“
Meine scheinbare Unbekümmertheit beruhigte sie. Dave kroch unter die Decke, obwohl ich davon überzeugt sein durfte, daß er kein Auge mehr schließen würde. Ginette folgte mir ins andere Zimmer, aber während ich keine Sekunde zögerte, in das warme Bett zu steigen, wanderte Ginette ruhelos in dem kleinen Raum auf und ab. Ich beobachtete sie mit sardonischen Gefühlen.
„Sie sprachen einmal davon, daß die Paggets lernen würden. Meinen Sie das damit?“
„Das – und anderes“, bestätigte ich.
„Hoffentlich ist es nicht mehr viel, was sie lernen!“
„Von Hoffnung allein können wir nicht überleben. Nun kommen Sie endlich ins Bett, mein Liebling.“
Sie war zusammengezuckt und stehengeblieben. Dann sagte sie:
„Don, reden Sie doch nicht so – bitte, nicht!“
„Kommen Sie ins Bett, Ginette!“ forderte ich sie sanft auf.
„Nein!“
„Gut, dann bleiben Sie eben auf!“
Ich drehte mich auf die Seite und schloß die Augen. Es dauerte nicht lange, da kroch sie von der anderen Seite ebenfalls ins Bett.
„Don“, flüsterte sie nach einigen Minuten. „Was die Pa-Ratten angeht.“
„Ja? Was ist mit ihnen?“
„Sollten wir nicht schlafen – mit dem Gesicht zueinander? Dann würde es ihnen schwerer fallen .“
„Gibt einige Sicherheit“, gab ich ihr recht.
Und so lagen wir beide auf der Saite, sahen uns an, aus einer immer noch sehr respektablen Entfernung. Innerlich freute ich mich diebisch, daß Ginette meine Hilfe benötigte, aber ich dachte nicht daran, ihre Hilflosigkeit auszunutzen. Wahrscheinlich wollte sie jetzt noch mehr über die
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