TS 27: Verpflichtet für das Niemandsland
in mir den Wunsch verspürte, ihn ohne jeden Anlaß, ohne jeden Grund umbringen zu wollen.“ Sophia runzelte die Stirn und richtete sich auf. „Ich glaube nicht, daß ich noch einmal etwas Derartiges erleben möchte.“
Der Arzt sah sie kalt-forschend an. „Dies ist Ihre Aufgabe auf dem Stalin-Treck. Sie werden das tun!“
„Ich habe ihn ohne jeden Gedanken getötet.“
„Genug. Sie werden sich jetzt ausruhen und für den nächsten Kampf vorbereiten!“
„Aber wenn er tot ist –“
„Offensichtlich ist er es nicht, denn wir wären davon unterrichtet worden, Genossin Petrovitch.“
„Das ist wahr“, stimmte der andere zu, der bis jetzt geschwiegen hatte. „Bereiten Sie einen anderen Test vor, Genosse.“
Sophia wollte erneut zu argumentieren beginnen. Schließlich war es nicht fair, wenn es in der Traumwelt, die keine Traumwelt war, für sie nur den einen Faktor als Triebkraft gab, den Amerikaner zu vernichten. Und wenn sie ihm mit der Kraft entgegentrat, die sie durch das Training auf dem Jupiter erhalten hatte, so konnte man das wohl kaum als einen fairen Wettkampf bezeichnen. Und jetzt, als sie wieder an den Amerikaner ohne den alles verzehrenden Haß denken konnte, den die Traumwelt in ihr geschaffen hatte, erkannte sie, daß er ein gutaussehender junger Mann gewesen war, der sie sehr angesprochen hatte. Ich könnte ihn lieben, dachte Sophia und hoffte inbrünstig, daß sie ihn nicht ertränkt hatte. Dennoch, da sie sich freiwillig für den Stalin-Treck gemeldet hatte und dies die Aufgabe war, die man ihr zuteilte …
„Ich brauche keine Ruhe“, sagte sie zu dem Arzt. Aber sie war sich ihrer selbst kaum sicher, denn sie erkannte, daß sie sehr leicht ihren Entschluß ändern konnte. „Ich bin bereit, sobald Sie bereit sind.“
9. Kapitel
Sein Name war Temple, und es war das Jahr 1960.
Christopher Temple hatte Probleme. Er hatte auch sein eigenes Leben, das nichts mit dem Leben des wirklichen Christopher Temple zu tun hatte, der etwa 30 Jahre später auf die Reise ins Niemandsland gegangen war, oder vielmehr dies war Christopher Temple, der seinen zweiten U.S.R.-Test erlebte … Temple, der beim erstenmal verloren hatte und dessen abermalige Niederlage alle Hoffnungen der westlichen Welt auf einen Sieg zunichte machen würde. Aber als der fiktive Christopher Temple des Jahres 1960 wußte er nichts von alledem.
Die Welt konnte in Scherben gehen. Die Welt war sowieso am Rande des Untergangs. Temple schauderte, als er sich das vierte Glas Kanadischen Whisky eingoß und es mit einem einzigen Zug leerte. Temple war Ingenieur für thermonukleare Anlagen und besaß Diplome von drei Universitäten einschließlich der neuen in Desert Rock. Temple hatte auf Grund strengster Überprüfung durch die Regierung Zugang zu den geheimsten Dingen.
Und seine Frau spionierte für die Russen!
Er hatte es nur durch puren Zufall erfahren und nicht die Absicht gehabt, zu lauschen. Als er eines Nachmittags früher nach Hause gekommen war, weil der Betriebsingenieur die Anlage stillgelegt hatte, während Untersuchungen über gewisse labile Isotopen ausgeführt wurden, stellte Temple überrascht fest, daß seine Frau einen männlichen Besucher hatte. Er hörte deutlich vom Vestibül aus ihre Stimmen im Zimmer, und einen Augenblick lang wurde er zwischen dem Drang hin- und hergerissen, leise in den ersten Stock hinaufzuschleichen und sie einfach nicht zu beachten oder aber in den Salon zu stürzen wie ein Pennäler, der vor Eifersucht rasend geworden war. Das Beste natürlich war, keines von beiden zu tun, und Temple wollte gerade höflich den Salon betreten, guten Tag sagen und abwarten, bis er vorgestellt wurde, als er Bruchstücke der Unterhaltung vernahm, die ihn wie erstarrt stehenbleiben ließen.
„Charles, du bist ein Dummkopf! Kit argwöhnt doch nicht das Geringste. Ich würde das doch wissen.“
„Wie kannst du so sicher sein?“
„Intuition.“
„Auf deiner Intuition möchtest du das Schicksal des Roten Imperiums aufbauen?“
„Imperium, Charles?“ Temple konnte sich sehr gut Lucys Gesicht mit den hochgezogenen Brauen vorstellen. Er lauschte jetzt, beinahe ohne zu atmen. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, sich nach oben zurückzuziehen und das Ganze zu vergessen. Das Leben wäre auf diese Weise viel einfacher. Er tat es jedoch nicht.
„Ja, Imperium. Oh, nicht das nach Land gierende, sklavenantreibende Reich, das die Imperialisten früher schaffen wollten, sondern ein
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