TS 37: Tödliche Träume
Traumpassivität eine wirkliche Raumreise antrete, wenn ich damit also etwas tue, was schon immer mein Wunsch war, wozu ich aber nicht den Mut hatte, so wäre das eine Tat, wie sie von Ihrer Philosophie verlangt wird. Es wäre mehr als ein persönlicher Sieg, nämlich der Triumph einer Idee. Ihrer Idee zum Beispiel.“
Carpenters Kommentar war lediglich ein abgehacktes, Stöhnen, als Nord den Robot-Piloten mit den Daten fütterte, die der Kalkulator ausgeworfen hatte.
„Es scheint so, als habe ich durch den Sensipsych alles gelernt, was man zur Steuerung eines Raumschiffes wissen und können muß. Ich habe festgestellt, daß genügend Lebensmittel an Bord sind. Die Lufterneuerungsanlage arbeitet fehlerlos, und der Atombrennstoff reicht für ein paar Jahre. Wir haben somit mehr als wir brauchen. Fliegen wir also zum Jupiter und seinen Monden!“
Ellwynn Carpenter widersprach mit keinem Wort. Vielleicht hatte ihn die Furcht stumm gemacht. Vielleicht versuchte er aber auch, diese Furcht zu bekämpfen, denn schließlich konnte man von einem hitzköpfigen Weltverbesserer verlangen, daß er seine kategorisch-imperativen Thesen auch auf sich selbst bezog.
Nord fiel der Mann ein, den er in die Koje gepackt hatte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn mitzunehmen.
„Ich werde unseren Passagier anschnallen gehen, Carpenter. Sie schaffen es wohl allein.“
Als Nord den Schlüssel drehte, der dem Robot-Piloten die volle Ladung gab, hatte er selbst noch fünf Minuten Zeit, sich in der eigenen Koje festzuzurren.
Der Sprung in den Raum begann mit dem altbekannten unvermeidlichen Andruck. Nur wesentlich stärker als inden Sensipsychträumen der Ajax-Company, die aus Liebe zur Kundschaft alle Unannehmlichkeiten so weit wie möglich gemildert hatte. Wie durch Zauberei fielen die schwelenden Ruinen der City unter ihnen zurück. Der Himmel wurde schwarz wie eine Schiefertafel, auf die jemand mit Kreidestaub ein funkelndes Meer von Sternen geschmiert hatte.
Aber dieser farbige Vergleich wirkte lächerlich, wenn Nord an die tatsächlichen Probleme dachte. Obwohl dieses Schiff theoretisch in der Lage war, ausgedehnte Raumflüge durchzuhalten, so zählte es trotzdem nicht zu der Kategorie, die man für Flüge jenseits des Planetoidenrings benutzte. Und bis zum Jupiter – das bedeutete die größte Entfernung, die Menschen jemals zurückgelegt hatten. Langsam begann Nord zu begreifen, was für eine enorme Distanz mehrere Millionen Meilen waren.
Doch der Höhepunkt seiner Panik wurde erst erreicht, als der Autopilot nach dem Eintritt der zum Erreichen des Jupiter nötigen Geschwindigkeit die Treibsätze abstellte. Jetzt begann der freie Fall. Nord wurde gewichtslos. Und welches Gefühl kann für einen erdgebundenen Menschen schrecklicher sein als der Sturz in einen endlosen Abgrund?
Diese Miniaturrakete rotierte nicht wie die großen Raumschiffe um ihre Längsachse. Sie vermittelte daher auch nicht in der Nähe der Außenhülle den durch Rotation hervorgerufenen Eindruck von Schwerkraft.
Das Gefühl des Sturzes war wesentlich stärker als beim Sensipsych. Und damit begann für Nord und Carpenter eine Periode düsterer Verwirrungen, die keinem Neuling im Weltraum erspart bleiben.
Da war die beklemmende Vorstellung, von allen vertrauten Dingen unüberbrückbar getrennt zu sein. Das Heimweh wurde wach. Die Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Freunden, nach Blumen und Feldern. Und dann kamen die ersten Anzeichen der Übelkeit. Ein Bohren im Magen – die Raumkrankheit.
Anson Nord war sich klar darüber, daß er diesen Kampf gewinnen mußte. Und trotz des schwindelerregenden Drehens im Gehirn fühlte er sich stark dafür.
Um Ellwynn Carpenter stand es wesentlich schlechter. Seit dem Start hatte der Junge nicht ein Wort gesprochen. Aber jetzt begann er plötzlich zu schreien. Es war eine reine Reflexbewegung, als Nord ihn auf den Mund schlug. Irgendwann in den letzten Stunden hatte er sein Herz für diesen Jungen entdeckt. Daran änderte auch nichts, daß er vielleicht ein falsches Spiel trieb und entgegen seiner Behauptung doch ein aktiver Mathais-Anhänger war.
Er faßte Carpenter an den Schultern und schüttelte ihn. Als das nichts half, versuchte er es mit einem Bluff.
„Hör zu, du Dummkopf!“ schrie er. „Es ist ein Traum! Kapierst du das nacht? Es wirkt echt wie im Sensipsych, aber es ist ein Traum!“
Carpenter hörte auf zu schreien. Zweifellos hatte ihn das Schütteln und Schlagen mehr erschreckt als die Worte,
Weitere Kostenlose Bücher