TS 37: Tödliche Träume
und zerschmolzen und strahlte eine unerträgliche Hitze und zweifellos auch Radioaktivität aus.
Um sich davor zu schützen, nahm Nord einen Raumanzug. Auch dieser Entschluß ließ sich nur durch seine Erfahrungen aus dem Träumen erklären. Obwohl er das Gefühl hatte, alles geschehe im Zeitlupentempo und in einer Art Trance, so entwickelte sich in Wirklichkeit alles sehr schnell. Die Eindrücke des Geschehens spiegelten beinahe eine Doppelexistenz wider, als wenn jemand Sensipsych träumt und die reale Umgebung doch noch nicht ganz vergessen hat.
Nord sah Carpenters Gesicht. Der Ausdruck glich dem eines Starrsüchtigen. Carpenter konnte nicht einmal mehr schreien. So unheimlich war ihm zumute.
„Bleiben Sie hier“, sagte Nord befehlend und schloß die Gesichtsklappe seines Helms. Dann schaltete er die Ventile der Luftschleuse ein.
Sekunden später stand er in der glühenden Dämmerung. Noch immer hingen dichte Staubwolken in der Luft, die sich nur langsam zu Boden senkten. Er versuchte, sich zu erinnern, wie dieser Ort früher ausgesehen hatte. Doch er begriff nur, wie er jetzt war. Zwischen diesen beiden Zuständen klaffte ein Sprung, den keine Einbildungskraft überbrücken konnte. Kein Jünger der Gewalttätigkeit mochte wohl vorher geahnt haben, wie seine Offenbarungen schließlich in der Wirklichkeit aussahen.
Lange mußte er unschlüssig dagestanden haben, als er endlich eine Bewegung sah. Unter den Trümmern und Asche lag eine Gestalt. Ein Mann im Schutzanzug. Auf seinen gebrochenen Beinen lasteten niedergestürzte Mauerreste.
Nord wischte die Asche von der Sichtscheibe und vernahm die schwache Stimme des Mannes im Helmradio. „Natürlich – ich gehörte zu Mathais. Aber ich habe nicht gewußt, daß es so sein würde …“ Es war wie die Bitte um Vergebung.
„Wissen Sie, was mit Harwell und seiner Familie los ist?“ hörte sich Nord fragen. „Sie wissen, wen ich meine. Sie müssen hier gewesen sein …“
Der Mann antwortete nicht mehr. Es war zu Ende mit ihm.
Doch im nächsten Augenblick redete ein anderer.
„Ich kenne Harwell. Kurz bevor die Bombe losging, wollte er mit Frau und Kind zum Jupiter starten. Aber ich wette, die Mathaisbande hat ihn erwischt. Ob man sie umgebracht hat, kann ich nicht sagen. Die meisten von den anderen Schauspielern sind jedenfalls umgekommen.“
Nord sah sich nach der Stimme um und entdeckte eine Gestalt, die stolpernd aus dem Nebel auftauchte. Der Mann war klein und dick. Und glücklich genug, einen Raumanzug zu besitzen. Nord wußte nicht, daß dieser Mensch sein Leben lang immer zuerst an seine eigene Sicherheit gedacht hatte. Er sah nur die vor Angst zitternden Lippen. Und dann weinte der Dicke sogar.
„Wenn Sie zu Matthais gehören, ergebe ich mich. Aber nehmen Sie mich mit von hier. Irgendwie. Harwell war keineswegs der Held, wie manche Leute denken. Nehmen Sie mich mit, Sir! Ich muß weg von hier.“
Der kleine dicke Kerl heulte wie ein Schloßhund. Dann fiel er schluchzend in sich zusammen. Nord wußte nicht, daß es Burris, der Schauspieler-Chef vom Ajax war. Es interessierte ihn auch nicht. Er packte den Mann am Kragen und schleppte ihn zum Schiff. In der Luftschleuse zog er ihm und sich die verseuchten Schutzanzüge aus und warf sie in die Reinigungsanlage. Dann packte er den Fremden in eine Koje und gab ihm eine Schlaftablette aus der Bordapotheke.
Anschließend ging Nord alle Schiffskontrollen durch und rechnete am Robot-Kalkulator den Kurs aus. Er war etwas mißtrauisch, daß die Maschine ein Ergebnis herausbekommen könnte, das er gar nicht haben wollte. Doch andere Sorgen machten ihm noch mehr zu schaffen. Immer wieder wurde er daran erinnert, daß er keine Frau und kein Zuhause mehr hatte, daß eine Welt für ihn in Scherben gegangen war. Und es würgte ihn in der Kehle, wenn er daran dachte, daß die Harwells, die er hatte retten wollen, ermordet sein könnten.
Doch vielleicht war nicht einmal das der Hauptgrund, der ihn zu seinem Wahnsinn trieb. Vielleicht wollte er auch nur weg von hier wie der dicke Burris – oder im Unterbewußtsein wenigstens einmal im Leben etwas leisten, wofür ihm Bob Harwell immer Vorbild war.
Ellwynn Carpenter stand neben ihm und verfolgte ratlos seine Handgriffe. Grimmig erklärte Nord: „Es ist Ihre Idee so gut wie meine. Wir waren uns ja einig, nicht wahr? Ihr Problem besteht doch darin, daß die Menschheit weniger mutig ist, als sie sein sollte. Wenn ich nun im Gegensatz zu meiner bisherigen
Weitere Kostenlose Bücher