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TS 44: Die Milliardenstadt

TS 44: Die Milliardenstadt

Titel: TS 44: Die Milliardenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Mahr
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Sinn:
    „Man muß sich fragen, ob es jemals eine Alternative Nonexistentialismus – Technizismus wirklich gegeben hat. Wir wissen noch zu wenig über die Entwicklungen intelligenter, biologischer Arten, weil wir die einzige sind, die wir kennen.
    Vielleicht erfordert es der Organismus solcher Arten, daß ausgerechnet im Höhepunkt einer Entwicklung eine gegenläufige, zerstörerische Tendenz auftritt. Vielleicht spürte der menschliche Organismus – ich meine den Organismus der gesamten Spezies Mensch – daß hinter dem Höhepunkt des Technizismus eine einmalige, irreparable Katastrophe lauerte. Vielleicht wehrte er sich dagegen, indem er den Nonexistentialismus schuf. Die Geschwindigkeit und Unabänderlichkeit, mit denen dieser närrische Glaube das technizistische Denken überrollte, macht diese These wahrscheinlich.
    Wir hätten es dann also mit dem Nonexistentialismus als einer Art naturgewollten Starrkrampfes zu tun. Wenn wir das akzeptieren, dann dürfen wir nicht daran zweifeln, daß der Starrkrampf eines Tages sein Ende finden wird, daß die Menschheit wieder erwachen und dort fortfahren wird zu existieren, wo sie zu Beginn des Nonexistentialismus aufgehört hat …“
     
    *
     
    In der Zwischenzeit hatte Egan-Egan andere Waffen gefunden – schrecklichere als die Lampe. Er nahm ein paar davon zu sich, als er den endgültigen Entschluß gefaßt hatte, seine Unterwelt zu verlassen und sich oben als eine Art Prophet zu betätigen.
    Es bestand kein Zweifel daran, daß seine aufklärende Arbeit bei der ersten Kaste beginnen mußte. Gelang es ihm, die Angehörigen der obersten Kaste zu überzeugen, dann war es die Sache der ersten Kaste, die Wahrheit der neuen-alten Erkenntnisse ganz einfach zu dekretieren.
    Egan-Egan glaubte, daß er sie dazu veranlassen könne, bevor sie merkten, daß dies das Ende der Kastengesellschaft bedeutete.
    Er erinnerte sich an das, was er von seinen Eltern über die Kasten gelernt hatte. Für den Angehörigen der vierten Kaste war es undenkbar, daß er auch nur ein einziges Mal seinen Fuß auf einen Boden setzte, der einer anderen Kaste gehörte. Nur den besonders Bevorzugten der untersten Kasten, den Gebietskoordinatoren oder den Räten, wurde überhaupt die Gnade zuteil, ein- oder zweimal in ihrem Leben einem Angehörigen der dritten Kaste gegenüberzustehen. Niemand jedoch hatte jemals ein Mitglied der zweiten oder gar der ersten Kaste zu Gesicht bekommen. Sie waren unerreichbar und Göttern gleich.
    Das überzeugte Egan-Egan davon, daß es ein schwieriges Unterfangen sein werde, bis zum Wohngebiet der höchsten Kaste vorzudringen. Die Bibliothek lehrte nichts darüber, worin sich äußerlich ein Mann der vierten Kaste von einem solchen der dritten, zweiten oder ersten unterschied. Es mochte sein, daß man die Grenze zur drittkastigen Teilstadt überschritten hatte.
    Derlei Befürchtungen änderten indes nichts an seinem Entschluß. Ohne daß er es genau wußte, brach er fast auf den Tag genau fünfzehn Jahre, nachdem er zum ersten Male die Halle betreten hatte, zu seiner Mission auf.

 
II. Der Ausbruch
     
    Um sein vorläufiges Ziel sicher zu erreichen, mußte Egan-Egan einen Umweg machen. Er kroch durch einen der Kanäle, die im Verwaltungsbezirk des Bereiches A im Unterabschnitt I, Oberabschnitt 2, mündeten. Jahrelange Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß es dort am leichtesten war, ungesehen in die Stadt vorzudringen, weil es nur wenige Beamte gab und diese sich während der Arbeitszeit zumeist in ihren Räumen aufhielten.
    Trotzdem blieb er eine Weile ruhig in der Rille liegen, in die der Kanal mündete, und beobachtete die Umgebung. Erst als er sicher war, daß sich weder auf der einen, noch auf der anderen Seite jemand zeigte, sprang er hinunter und trat unverzüglich auf das erste Beschleunigungsband, um sich zum Kasten-Boulevard, der Grenze zwischen den Bezirken A und B, bringen zu lassen.
    Unverzüglich spürte er das leise schmerzende Prickeln auf der Haut, das er jedesmal empfand, wenn er aus der Unterwelt heraufkam und sich ans Licht der Stadt begab. Er wußte inzwischen woher das kam. Das Kunstlicht der Stadt war mit ultravioletter Strahlung übersättigt, während das Licht in den Hallen unter der Stadt exakt der natürlichen Zusammensetzung im Sonnenlicht entsprach.
    Daher rührte auch eine von Egan-Egans bedeutendsten Sorgen: er war von Geburt an größer gewesen als seine Mitmenschen, und da während seines Aufwachsens keine Überdosis harter Strahlung sein

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