TS 57: Die Irrfahrten des Mr. Green
anderen werden schon warten.“
21.
Zwei Wochen waren inzwischen verstrichen. Von einer frischen Brise getrieben, rollte die kleine Jacht über die Xurdimur dahin. Die Sonne stand hoch am Himmel, und mit Ausnahme des Mannes am Ruder, Amras und Mirans war ein jeder mit seiner Mahlzeit beschäftigt.
Obwohl die Jacht nicht verproviantiert gewesen war, hatten sie nicht Hunger leiden müssen. Die Wilden hatten sich glücklicherweise nicht die Mühe gemacht, den Waffenschrank des Bootes auszuräumen, und so war der kleinen Flüchtlingsschar die Möglichkeit gegeben, sich selbst mit Wild zu versorgen.
Miran stand auf dem Vorderdeck und visierte mit seinem Sextanten, der sich zusammen mit einigen Karten der Xurdimur ebenfalls auf dem Schiff eingefunden hatte, die Sonne an. Die Eintragungen auf den Karten waren zwar in einem unbekannten Alphabet gewesen, aber Miran hatte sich natürlich trotzdem darin zurechtgefunden und die fremden Namen durch Bezeichnungen im Kilgrazalphabet ersetzt. Green, der Miran nicht so recht traute und die Karten selbst lesen wollte, hatte darauf bestanden. Mehr noch, er hatte den fetten Händler gezwungen, ihn wie auch Amra in dem Gebrauch des ungefügen, wenn auch ausreichend genauen Sextanten zu unterweisen.
Wie berechtigt Greens Mißtrauen war, hatte ein Vorfall bewiesen, der sich einige Tage darauf zugetragen und Green gezwungen hatte, noch weitere Maßnahmen zu seiner Sicherheit zu ergreifen. Miran und er standen mit schußbereiten Pistolen am Bug, während Anna die Jacht auf eine Hooberherde zusteuerte. Ihre gewöhnliche Taktik war es, der Herde so lange zu folgen, bis die erschöpften Tiere nicht mehr weiterkonnten. Als sie eines der wild galoppierenden Tiere fast eingeholt hatten, hob Green die Pistole. Gleichzeitig nahm er aus dem Augenwinkel heraus wahr, daß Miran ebenfalls in Anschlag gegangen, dabei aber ein Stück zur Seite und hinter ihn getreten war. Green hatte den Kopf gewandt, um Miran einzuschärfen, nicht unnütz Munition zu verschwenden, sondern nur zu schießen, wenn er, Green, fehlte. Dabei hatte er gesehen, wie der Lauf schwenkte und auf seinen Kopf zielte. Instinktiv hatte er sich geduckt, worauf Miran die Pistole hatte sinken lassen und Green scheinbar verwundert gefragt hatte, was er denn hätte.
Green hatte keine Antwort gegeben, sondern Miran die Waffe aus der schlaffen Hand genommen und sie schweigend in den Schrank eingeschlossen. Weder er noch Miran hatten den Zwischenfall jemals wieder erwähnt, noch hatte Miran gefragt, warum er an keiner der nachfolgenden Jagden mehr teilnehmen durfte. Das jedoch hatte Green erst recht davon überzeugt, daß der Kerl ihn in voller Absicht hatte niederschießen wollen, um vielleicht dann den anderen gegenüber zu behaupten, es wäre ein Unfall gewesen.
Um allen weiteren ‚Unfällen’ vorzubeugen, hatte Green Amra angewiesen, eine bestimmte Person zu erschießen und über Bord zu werfen, sollte er selbst in irgendeiner dunklen Nacht plötzlich verschwunden sein. Green hatte diese gewisse Person nicht bei Namen genannt, aber er erwähnte deren Geschlecht, und da Miran der einzige andere Mann an Bord war, schloß jeder Zweifel sich von selbst aus. Danach erwies sich Miran als äußerst entgegenkommend und lachte und scherzte den ganzen Tag. Trotzdem überraschte ihn Green dann und wann, wie er mit gefurchter Stirn entweder seinen Dolch oder den Juwelenbeutel befingerte, den er in seinem Hemd bei sich trug, und Green argwöhnte, daß er für den Tag ihrer Ankunft in Estorya über einer Hinterlist brütete.
Im Augenblick also visierte Miran die Sonne an, und Green wartete, bis er fertig war, um dann Mirans Berechnungen nachzuprüfen. Wenn er sich nicht vertan hatte, mußte die Jacht dreihundert Kilometer östlich von Estorya stehen. Ließ sie der Wind nicht im Stich, der sie mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von dreißig Kilometern in der Stunde über die Ebene trieb, dann mußten sie den Windfang der Stadt in weniger als acht Stunden anlaufen können.
Miran ließ den Sextanten sinken und begab sich in die kleine Kajüte, wo er seine Karten und Berechnungen liegen hatte. Green nahm den Sextanten entgegen, führte seine eigenen Messungen durch und verglich dann seine Ergebnisse mit Mirans Resultaten.
„Wir stimmen überein“, sagte er und tippte mit der Bleistiftspitze auf einen roten Punkt auf der Karte. „Binnen drei Stunden müßten wir diese Insel hier sichten.“
„Ja“, erwiderte Miran. „Sie ist ein
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