TS 61: Der Mann mit dem dritten Auge
sie. „Wenn du den Kontakt verlierst, wird das Gerät zu Boden sinken. Das Feuer wird jeden Augenblick die Energiequelle der Sperre zerstören. Danach wird der Turm zusammenbrechen. Wir müssen genau den richtigen Moment abpassen!“
Ihre Worte machten ihn wieder ruhiger. Trotzdem schalteten sich immer wieder andere Gedanken ein. Geeans ironische Worte fielen ihm ein. Wollte Leear ihn wirklich heiraten? Er fand diesen Gedanken nicht gerade berückend, wenn er bedachte, daß Leear mehr als tausend Jahre alt war. Amor, ja das wäre etwas anderes. Amor war jung und schön. Sie hatte Fehler, aber diese Fehler waren rein menschlicher Natur und deshalb entschuldbar. Außerdem hatte er das Gefühl, daß Amor ihn sofort nehmen würde.
Slade war so in Gedanken vertieft, daß er nicht bemerkte, was neben ihm geschah.
Leear hörte über den Nith alle seine Gedanken. Sie überlegte nicht lange und begann sich in Amor zu verwandeln. Innerhalb weniger Sekunden nahm sie Amors Aussehen an, aber der Nith machte dieser Verwandlung ein Ende.
„Was soll der Unsinn?“ teilte er ihr mit. „Glaubst du, Slade wird sich freuen, wenn er erfährt, daß du mit Amor identisch bist? Du hast die Rolle doch nur gespielt, um ihm einen gewissen Anreiz zu geben. Er sollte sich in ein Mädchen aus dieser Welt verlieben und für ihre Befreiung kämpfen. Wenn du dich ihm zu erkennen gibst, wird er deine berechnende Grausamkeit erkennen und dich für Caldras Tod verantwortlich machen.
Und noch etwas: Slade ist nicht dumm und wird bald die Zusammenhänge erkennen. Er wird erfahren, daß du allein für sein Schicksal verantwortlich bist. Du hast dafür gesorgt, daß er als dreiäugige Mutation in eine von zweiäugigen Wesen belebte Welt geboren wurde. Erwarte nicht, daß er dir dafür dankbar ist. Er muß wissen, daß du auch eine richtige Frau sein kannst. Du bist es jetzt, denn du hast deine Unsterblichkeit verloren. Aber wenn Slade erfährt, daß du sein Leben vom Embryostadium an kontrolliert hast, wird er ein Monster in dir sehen.“
Leear nahm wieder ihre normale Gestalt an. Slade hatte von diesem Zwischenspiel nichts bemerkt und wurde erst wieder aufmerksam, als Leear einen lauten Ruf ausstieß und auf den näherkommenden Flugapparat deutete.
„Geeans Barriere ist gefallen! Naze ist frei!“ rief sie freudig aus. Eine Sekunde später kam der Flugapparat durchs Fenster und stoppte dicht vor Slades Augen.
„Keine Angst!“ rief Leear. „Der Apparat kann uns alle drei tragen und in Sicherheit bringen.“
Der Nith und Leear klammerten sich an den glänzenden Zylinder. „Jetzt du, Slade!“ rief Leear. „Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren!“
Slade packte das Handrad. Seine Augen starrten auf die drei in seine Seele brennenden, leuchtenden Punkte. Keinen Augenblick zu früh, denn der gigantische Zentralturm begann krachend in sich zusammenzubrechen.
Unter sich sah er die Stadt, die jubelnd durch die Straßen ziehenden Menschen. Naze war frei, und er hatte seinen Teil dazu beigetragen.
Leear und der Nith waren plötzlich verschwunden. Er machte sich keine Sorgen um die beiden. Das Leben war wieder schön und verheißungsvoll. Diese Welt war nun seine Zukunft. Er würde Fortschritte machen und vielleicht sogar das ewige Leben erringen.
Er lenkte den schwebenden Zylinder in eine der Straßen und sprang aus geringer Höhe auf das Pflaster hinab. Er sah eine junge hübsche Frau, die ihm die Arme entgegenstreckte. „Amor!“ rief er aus und eilte ihr entgegen.
Er wußte nicht, daß Leear sich doch zur endgültigen Verwandlung entschlossen hatte. Sie spürte seine Liebe und wollte ihr Leben mit dem Mann teilen, der ihr Volk von der langen Tyrannei befreit hatte.
*
DAS URTEIL DES UNTERSUCHUNGSRICHTERS:
„Es ist der einstimmige Beschluß des Gerichts, den aufgefundenen Körper als die Leiche Michael Slades anzuerkennen. Der Zustand der Leiche läßt keine genaue Identifizierung zu, doch das Vorhandensein des dritten Auges beseitigt alle Zweifel. Der Ursprung der merkwürdigen Bekleidung des Toten sowie die genaue Todesart kann nicht eindeutig festgestellt werden. Es ist anzunehmen, daß der Tod durch einen Sturz aus großer Höhe – möglicherweise aus einem Flugzeug – verursacht worden ist. Ein Verbrechen kann nach Lage der Dinge nicht nachgewiesen werden.
Der Fall Michael Slade ist einer jener mysteriösen Fälle, die niemals restlos aufgeklärt werden können.“
– Ende –
In TERRA-SONDERBAND 62 wird
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