TS 76: Eine Handvoll Dunkelheit
bewegte sich, versuchte, seine Finger beiseite zu schieben.
„Meinetwegen“, murmelte der Mann. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht, dicke, große Schweißtropfen. Er öffnete die Schachtel langsam und hielt die Hand über die Öffnung. Aus ihrem Innern war ein metallisches Dröhnen zu hören, ein tiefes, eindringliches Summen, das sofort lauter wurde, als Licht in die Schachtel fiel. Ein kleiner Kopf tauchte auf, rund und glänzend, und dann noch einer. Und jetzt immer mehr; sie schoben sich heraus und reckten die Hälse, um besser sehen zu können.
„Ich bin der erste“, piepste einer der Köpfe.
Einen Augenblick schienen sie sich zu streiten, doch dann herrschte wieder Einigkeit.
Der Mann auf dem Bürgersteig hob die kleine Metallfigur mit zitternden Händen heraus. Er stellte sie auf die Straße und begann, sie ungeschickt aufzuziehen. Es war ein buntbemalter Soldat, mit einem Helm und einem Gewehr in der Hand. Er stand in Habachtstellung. Als der Mann den Schlüssel umdrehte, bewegten sich die Arme des kleinen Soldaten auf- und abwärts.
Zwei Frauen kamen den Bürgersteig entlang. Sie unterhielten sich. Als sie an dem Mann vorbeikamen, sahen sie neugierig auf ihn herunter, auf ihn und die Schachtel und die kleine, glitzernde Figur, die er in der Hand hielt.
„Fünfzig Cent“, murmelte der Mann. „Für Ihre Kinder. Nehmen Sie ihnen etwas zu …“
„Warte“, sagte eine schwache, metallische Stimme. „Die nicht!“
Der Mann verstummte sofort. Die beiden Frauen sahen einander an und dann den Mann und die kleine Metallfigur. Sie gingen eilig weiter.
Der kleine Soldat sah sich auf der Straße um, musterte die Autos und die einkaufenden Menschen. Plötzlich durchlief ihn ein Zittern, und er sagte mit heiserer, leiser Stimme etwas.
Der Mann schluckte. „Nicht den Jungen“, sagte er. Er versuchte, die Figur festzuhalten, aber Finger aus Metall bohrten sich in seine Hand. Er stöhnte auf.
„Sag ihnen, daß sie stehenbleiben sollen!“ befahl die Figur. „Sie müssen stehenbleiben!“ Die Figur schob die Hand des alten Mannes zurück und marschierte steifbeinig über die Straße. Der Junge und sein Vater blieben stehen und betrachteten den Soldaten interessiert. Der Mann auf der Straße lächelte. Er sah zu, wie die Figur sich ihnen näherte und mit den Armen herumfuchtelte.
„Nehmen Sie für Ihren Jungen etwas mit. Ein großartiges Spielzeug. Machen Sie ihm die Freude.“
Der Vater grinste und sah zu, wie die Figur sich seinem Schuh näherte. Der kleine Soldat stieß an den Schuh. Ein Klicken ertönte, und er hörte auf, sich zu bewegen.
„Du mußt ihn aufziehen“, rief der Junge.
Sein Vater hob die Figur auf. „Wieviel kostet er?“
„Fünfzig Cent.“ Der Mann erhob sich mühsam und preßte die Schachtel an seine Brust. „Er macht Ihrem Jungen sicher Spaß.“
Der Vater drehte die Figur um. „Willst du ihn auch wirklich, Bobby?“
„Klar! Zieh ihn auf!“
Bobby griff nach dem kleinen Soldaten. „Dann kann er wieder gehen.“
„Ich kaufe ihn“, sagte der Vater. Er griff in die Tasche und hielt dem Mann eine Dollarnote hin.
Der Verkäufer gab ihm mit abgewandtem Gesicht das Wechselgeld zurück.
*
Die Lage war ausgezeichnet.
Die kleine Figur lag ruhig da und überdachte alles. Alle Umstände hatten zusammengewirkt und zu einer Ideallösung geführt. Es hätte sein können, daß das Kind nicht stehenbleiben wollte oder daß der Erwachsene kein Geld hatte. Vieles hätte passieren können; es war schrecklich, auch nur an diese Möglichkeit zu denken. Aber alles war plangemäß verlaufen.
Die kleine Figur sah sich befriedigt in dem Wagen um. Sie hatte gewisse Anzeichen richtig interpretiert: die Erwachsenen hatten die Macht, und so besaßen auch sie das Geld. Sie hatten Macht, aber gerade wegen dieser Macht war es schwierig, an sie heranzukommen. Wegen ihrer Macht und ihrer Größe. Bei den Kindern war es anders. Sie waren klein, und es war leichter, mit ihnen zu reden. Sie nahmen alles für bare Münze, was sie hörten und taten, was man ihnen auftrug. Wenigstens hatte es in der Fabrik so geheißen.
Die kleine Metallfigur lag versunken in ihren Träumen da.
Das Herz des Jungen schlug schneller. Er rannte die Treppe hinauf und stieß die Tür auf. Nachdem er die Tür wieder sorgfältig geschlossen hatte, ging er an das Bett und setzte sich. Er sah an, was er in der Hand hielt.
„Wie heißt du?“ fragte er. „Wie nennt man dich?“
Die Metallfigur gab keine
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