Tschoklet
waren hier Tausende von Lastwagen, Panzern, Mannschaftstransportern, Tanklastzügen und Jeeps der US-Armee über die Brücke gefahren. Auf der Pontonbrücke herrschte auch jetzt reger Verkehr. Etliche amerikanische Lastwagen, Pferdegespanne, ein Soldat auf einem Motorrad, Frauen mit Kindern, Berufstätige mit Mantel, Hut und Ledertasche, verschiedene Flüchtlingswagen, einfach Chaos. Da der rollende Verkehr immer nur abwechselnd in eine Richtung fließen konnte, mussten die anderen warten, was die Lage an den Ufern nicht verbesserte. Der Stau war immer dann besonders groß, wenn die Wachtposten Personenkontrollen durchführten, was nur gelegentlich geschah. Viele Menschen zeigten ihre Passierscheine unaufgefordert. Zur besseren Erkennbarkeit bei Kontrollen hatten die alliierten Behörden die Stempel in verschiedenen Farben und Formen ausgeführt.
Captain Edwards wurde beim Eintreffen an der Behelfsbrücke sofort von einem jungen Staff Sergeant begrüßt. Die Pioniere waren, wie die Scouts und die Signal Corps, die wichtigsten Truppenteile der vorrückenden US-Armee. Da sich die nächste unzerstörte Brücke in Heidelberg befand, diese aber den Belastungen durch die Panzer nicht hätte standhalten können, musste ein Notlösung gefunden werden.
Die zwei Fahrzeuge reihten sich schnell in den großen Tross ein. Vom Neckarufer aus folgten sie der Seckenheimer Landstraße in Richtung Ortskern. US-Telegrafeneinheiten hatten schon kurz vor Kriegsende Telefonleitungen von Mannheim nach Heidelberg verlegt, diese überspannten auch in Seckenheim die Hauptstraßen und Plätze. Vor Kriegsende wurden die Drähte von der Zivilbevölkerung trotz Strafandrohung immer wieder durchgeschnitten. Als die Signaleinheit eines frühen Morgens während der Ausgangssperre in Edingen zwei Jugendliche beim Drahtschneiden überraschte, erschossen sie die beiden und ließen deren Leichen mitten auf der Dorfstraße mit den Zangen in der Hand liegen. Diese Nachricht verbreitete sich in allen Orten zwischen den beiden Städten wie ein Lauffeuer. Von diesem Tag an wurden keine Telefonleitungen mehr gekappt. So wie es keine Saboteure mehr gab, verschwand auch die Kriegspropaganda an den Häuserwänden, die auf Befehl der alliierten Militärregierung übermalt worden war.
Da es von Seckenheim zum Mannheimer Güterbahnhof scheinbar nicht weit war, Edwards hatte unterwegs schon einige Hinweisschilder sehen können, waren hier viele schwer beladene Ochsengespanne und gelegentlich auch deutsche Lastwagen zu sehen. Aufgrund des praktisch nicht mehr funktionierenden Schienenverkehrs musste der gesamte Warentransport zunächst wieder auf den Straßen erfolgen. Der Captain war einmal am Rangierbahnhof gewesen, zumindest an der Stelle, wo laut Plan ehemals der Güterbahnhof war. Die Gleise sahen aus, als hätte ein Riese versucht, alle auf einmal, mit den Lokomotiven und Güterwagen darauf, herauszureißen. An einigen Stellen türmten sich verbogene Schienen übereinander, Hunderttausende von Holzschwellen lagen überall herum, in riesigen Bombentrichtern stapelten sich ganze Zugladungen, ja, ganze Züge lagen kreuz und quer, andere Gleise waren unversehrt, dort standen noch verschiedene, teils ausgebrannte Waggons mit Kriegsgut, Kohlen, Holzstämmen, Metallschrott oder Personenwagen und warteten auf Abfertigung. In den letzten Wochen nach Kriegsende hatte sich zwischen verbogenen Gleisen, Eisenbahnschrott und Gebäuderuinen ein dichtes, teilweise hüfthohes Grün aus blühendem Unkraut und Birkenschösslingen breitgemacht. Edwards wurden auch hier wieder die Folgen des Krieges vor Augen geführt, er dachte an Illinois, an sein Zuhause, und war froh, dass der Krieg seine Heimat verschont hatte. Auf dem Gelände des Rangierbahnhofs waren immer wieder massenweise Plünderer unterwegs und suchten die letzten brauchbaren Sachen aus den bombardierten Zügen und Waggons. Er sollte hier in Seckenheim eine kleine Kontrollvisite durchführen: An Karfreitag 1945 hatten zwei amerikanische Shermans von Ilvesheim aus einen Kirchturm auf der Hauptstraße in Brand geschossen, da dort ein Artillerie-Leitstand der Deutschen vermutet wurde. Das ausgebrannte Gemäuer war schnell gefunden, ein großer Schutthaufen zwischen rußigen Kirchenmauern. Eine Flakstellung oder ein Feuerleitstand war in den verkohlten Dachträgern, Ziegelsteinen und Resten der Kirchenbestuhlung nicht mehr auszumachen. Die Zivilbevölkerung hatte sich sicherlich schon den noch brauchbaren Teil des
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