Tu dir weh
Augen. Bunte Dreadlocks. Breite Hosen. Schwarze Kapuzen.
»Also?«, schreit Ganzo den anderen zwei entgegen. »Wer hat Kohle? Was nehmen wir?«
»Du solltest mal lernen, nicht dauernd zu schnorren«, sagt Stella. »Verdammt, das geht so nicht, was bildest du dir ein, ab und zu musst du auch mal was in den Topf werfen!«
Genau in diesem Moment gesellt sich ein Mädchen dazu und flüstert dem Checker etwas ins Ohr. Sie hat grün und rosa gefärbtes Haar, Piercings unter den Lippen und das Gesicht einer Sechzehnjährigen. Aber sie ist so geschminkt, dass sie als zwanzigjährige Cyborg durchgehen könnte. Der Checker zieht die Augenbrauen hoch und lässt sich, die Finger in seinen Texaner-Gürtel eingehakt, von dem Mädchen zum Auto mitnehmen. Nach dem Fick käme er sofort zurück, sagt er.
Stella und Tina werfen sich argwöhnische Blicke zu.
Na los, zieh du die Kohle aus der Tasche, du zuerst.
Aber keine von beiden will den Anfang machen. Inmitten von Dreadlocks und Kapuzen, von vor Gel glänzenden Irokesen, Sicherheitsnadeln und Piercings erkennt Stella einen Blondschopf.
Ich wusste, ich würde dich hier treffen.
Tina sagt etwas. Sie tut so, als ob sie ihr zuhöre, und verfolgt die Bewegungen des Blonden in der Menge. Marco dreht sich um. Seine Augen sind wässrig, der Blick scheint abwesend, aber er fixiert genau einen bestimmten Punkt: Stella.
Sie halten den Blickkontakt, der die Menschen und die Vibrationen der Musik durchquert, für einige Sekunden. Aus den Boxen hämmern zweihundert Beats pro Minute. Er kommt auf Stella zu. Ihr wird heiß, sehr heiß. Sie zieht sich das Sweatshirt aus, drunter hat sie nur das tief ausgeschnittene, schwarzweiß gestreifte Top. Marco geht nah an Stella vorbei, schaut sie an, blickt in ihren Ausschnitt; kein Hallo. Sie riecht seinen Schweiß, schließt die Augen, beißt sich auf die Lippen.
Tina schüttelt sie.
»Hörst du mir zu?«
Stella kommt wieder zu sich, nickt. Marco schaut sie immer noch an. Die andere sagt ihr, Techno sei nicht mehr so wie früher. Stella nickt erneut.
Unter den Dreadlockköpfen entdeckt sie auch den mit den wirklich langen Dreads, der mit der dunklen Gesichtsfarbe, ausgemergelt, wulstige Lippen, runde Augen, Piratenohrringe: Alberto, Marcos Kumpel. Sein Blick trifft auf Stella, die Marco anschaut, der Alberto bemerkt und ihn begrüßt. Sie nickt mit dem Kopf, und der Dreadlocktyp kommt auf sie zu. Marco und Stella beobachten sich gegenseitig, jeder spioniert dem anderen heimlich nach.
Sie fällt Alberto um den Hals.
»Wie geht’s dir, mein Lieber?«
Marco fährt zusammen.
Also bist du doch eifersüchtig.
Stella umarmt den Dreadlocktypen und sieht, wie Marco sich abwendet. Sie lassen die anderen stehen und steuern auf ein Auto zu. Tina ruft so etwas wie: »Krieg ich auch ’ne Line?«
Natürlich Tina, verlass dich drauf.
Stella antwortet nicht, geht weiter. Albertos Arm legt sich um ihre Hüfte, sie spürt Marcos Augen auf ihrem Körper.
Wenn du mich noch fester umarmst, kriegt dein Freund einen Schlaganfall.
Stella steigt in Albertos Auto, er holt eine kleine Pappschachtel aus der Jeanstasche und entleert sie auf einer CD-Hülle.
»Wie läuft’s mit Marco?«, fragt er sie.
Er lässt mich frühmorgens allein am Bahnhof stehen, er schleppt mich zu Swingerpartys, er dreht Webcam-Pornos mit mir, aber ansonsten läuft alles super.
»So lala«, antwortet Stella und starrt auf das Pulver.
Ketamin, was für ein Dreck.
»Es ist lange her, nicht wahr?«, sagt er, während er zwei Lines legt.
»Lass stecken«, sagt Stella, »ich hab’ keinen Bock, mich einzuschläfern.«
Alberto legt das Ketamintütchen weg und holt ein anderes hervor, das nach Fisch, Kunststoff und Zitrone riecht, streut das Pulver über die zwei Ketaminlines.
»Lass uns zweigleisig fahren.«
Du meinst: Lass uns die restlichen Neuronen auch noch wegpusten.
»Ok, aber nicht so viel bitte, ich will nicht durchdrehen.«
Alberto fragt sie noch mal nach Marco. Stella weicht aus. Sie zieht ihre Line, bedankt sich und steigt aus.
Sie mischt sich unter die Kapuzen und Dreadlocks, unter den Geruch von Schweiß, Haschisch und Speed, bahnt sich mit Händen und Hüften einen Weg hindurch, geht an den Mädels vorbei, die in der ersten Reihe ihre Ärsche schwingen, bis vor die Boxen und legt ihre Hände darauf. Die Boxen sind staubig, auf ihren Fingerspitzen spürt sie die Vibrationen. Sie schließt die Augen, drückt sich an die Box, und die Musik durchdringt sie, saugt sie
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