Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees
Grund in der jüngeren türkischen Geschichte. In den 1960 er und 70 er Jahren waren die Universitäten, ganz ähnlich wie in Deutschland, Hochburgen des Widerstandes gegen den autoritären, konservativen Staat. Die Linke dominierte die Universitäten – allerdings gab es auch rechte Gruppierungen, mit denen Meinungsverschiedenheiten auch schon mal handfest ausgetragen wurden. Insgesamt waren die Hochschulen zu der Zeit stark politisiert.
Das änderte sich schlagartig mit dem Putsch von 1980 . Die Wortführer der studentischen Linken verschwanden zu Tausenden im Gefängnis, linke Professoren und Dozenten verloren ihre Anstellungen. Die Universitäten wurden gründlich gesäubert und durch ein neues Gesetz ihrer Autonomie beraubt. Durch die während der Militärdiktatur verabschiedete neue Verfassung wurde stattdessen ein Hochschulrat ( YÖK ) eingeführt, der direkt dem Staatspräsidenten unterstellt ist und die Aufsicht über die Hochschulen führt. Mit der damals erfolgten zwangsweisen Entpolitisierung der Hochschulen ging ein Niedergang der Geisteswissenschaften einher, wovon sich die türkische Hochschullandschaft bis heute nicht erholt hat. Da das politische Korsett für die staatlichen Hochschulen so streng ist, hat sich paradoxerweise die kritische Intelligenz eher an einigen privaten Hochschulen entfaltet. Die Bilkent-Universität in Ankara beispielsweise, vor allem aber die Bilge-Universität in Istanbul sind zu Zufluchtsorten für renommierte kritische Professoren geworden, die an den staatlichen Hochschulen nicht mehr unterrichten durften. So kam es nicht, wie ursprünglich geplant, an der renommierten staatlichen Bosporus-Universität zur ersten spektakulären Großveranstaltung über das Armenien-Thema, bei dem auch vehemente Kritiker der offiziellen staatlichen Position auftraten, sondern die Veranstaltung fand nach Interventionen von oben an der privaten Bilgi-Universität statt.
Seit 2007 verändert sich die Hochschullandschaft der Türkei erneut, denn mit der Wahl des früheren AKP -Außenministers Abdullah Gül zum neuen Staatspräsidenten hat nun die AKP auch Zugriff auf den Uni-Aufsichtsrat YÖK . Seit Jahren ist die Herzensangelegenheit der AKP , die Universitäten für Studentinnen mit Kopftuch zu öffnen. In den ersten viereinhalb Jahren der AKP -Regierung verhinderte das der kemalistische Staatspräsident Sezer und der mehrheitlich von strengen Kemalisten besetzte Hochschulrat YÖK . Seit Gül nun im Herbst 2007 Präsident wurde, hat er zielstrebig die Zusammensetzung des Hochschulrates verändert. Inzwischen ist ein ausgewiesener AKP -Mann Vorsitzender, und seitdem ist das Kopftuch das Thema Nummer Eins an den Universitäten. Trotz erster Entscheidungen der Regierungen diesbezüglich werden sich die Auseinandersetzungen darum durch Einsprüche beim Verfassungsgericht vermutlich noch Jahre hinziehen.
Die Auseinandersetzung zwischen einer der Aufklärungdienenden und einer staatstragenden Wissenschaft, die seit dem Putsch 1980 die türkischen Universitäten lähmte, droht nun zu einer Auseinandersetzung um einen säkularen oder religiös beeinflussten Wissenschaftsbetrieb zu werden. Für Zahnmediziner oderBauingenieure mag das egal sein. Aber schon bei den Biologen und erst recht bei Juristen, Historikern und Politologen könnte es kritisch werden.
Frauen
Es war einer der vielen Diskussionsabende, die man als Auslandskorrespondent im Heimaturlaub absolviert. Vermutlich in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, es kann aber auch ganz woanders gewesen sein. Nach dem Ende des Vortrags fragte eine Frau, ob die Zahl der Ehrenmorde eigentlich zu- oder abnimmt, und ob es auch unter Journalistinnen so sei, dass sie zwangsweise verheiratet würden, oder ob Intellektuelle bei der Wahl ihres Lebenspartnern mittlerweile auch selbst mitreden dürften. Im Prinzip laufen Diskussionsrunden über die Türkei immer auf dieselbe Frage hinaus: Wie soll ein Land, in dem die Frauen so mies behandelt werden, Mitglied der EU werden können? Seit die Türkei in den europäischen Club drängt, haben selbst gestandene deutsche Konservative die Rechte der Frauen entdeckt, und auch die Katholische Kirche lässt es an kritischen Nachfragen wegen Gleichberechtigung der Geschlechter nicht fehlen; jedenfalls so lange es um die Türkei und die »geknechteten Frauen« in einem islamischen Land geht.
In der Regel versuche ich dann zu erläutern, dass die türkische Gesellschaft im Vergleich zur deutschen oder
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