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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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überstrahlt werden. Alles bewegt sich. Ich bewege mich fast nicht mehr. Wie eine Schnecke mich in die innerste Windung meines Körpers zurückziehen und ganz klein und schwarz dort werden: vertrocknen. Einer Ameise Herberge sein in meiner alten Haut. Und mit den Herbstblättern schließlich über die Straße gefegt werden. Noch einmal die Lust eines Kindes zu sein, das diesen Rest von mir zertritt und lacht. Mit einem Erschrecken über das leichte Splittern, das klingt wie Krieg.
Johannis
    Hell und fremd ist die Johannisnacht. Zu keiner Zeit ist der Sommer so brüchig wie in dieser Nacht. Dann ist er vorbei, die Tage haben keine Namen mehr und gehen unterschiedslos dahin bis in den tiefen Herbst. Das Jahr steht still nach der letzten Verheißung der Johannisnacht. Die Kerne reifen in den Früchten, nichts ist mehr aufzuhalten, das Jahr geht ins Land und nimmt uns mit oder läßt uns da stehen, bis im nächsten Sommer die Triebe wild sind und die Früchte klein. Man kann nicht schlafen in dieser Nacht. Man kann nicht froh sein, nicht traurig. Lieben kann man, doch es wird nicht gelingen. Lieben: ein Altes besänftigen, ein Neues davon nähren. Diese Nacht ist so kurz, das Alte und das Neue sind sich ganz gleich darin. Diese Nacht ist die Waagschneide eines Jahres, deshalb kann die Liebe nicht gelingen, in der Mitte ist sie nicht möglich, dort ist man nur allein. Aber die Sehnsucht nach ihr hält mich wach.
    Ich schlich mich aus dem Zimmer die Stufen zur obersten Dachbodentür hinunter. Ich war auf der dritten Ebene und versuchte, Echo zu finden. Ich wollte nicht rufen, denn wenigstens das mußte menschenmöglich sein in dieser Nacht: Echo zu spüren, aufzuspüren. Ich kletterte einige der Leitern hinauf und hinab, stand still und lauschte: hier? Nein. Ich fand sie schließlich sehr blaß und großäugig auf der obersten Ebene sitzen mit angezogenen Knien, um die sie die Arme geschlungen hatte. Mädchen, wollte ich sagen und über ihr glattes Haar streichen. Ich wollte, daß sie heute wirklich war und greifbar. Echo, sei
einfach
, ich bitte dich. Sie gab mir ihre Hand. Eine warme Hand. Ich setzte mich neben sie, um nicht in ihre Augen sehen zu müssen, um nur ihre Hand an meine Stirn zu pressen. Jan, sagt sie, du weißt es doch, daß es mich nicht gibt. Was willst du dann? Einen Menschen, Echo. Du wirst Menschen haben, später, das hier ist das Leben auf dem Turm. Wenn du willst, daß ich morgen noch da bin, dann geh jetzt, du wirst mich sonst verlieren in dieser Nacht. Aber deine Hand, Echo, ich kann nicht allein sein. Ich bin nicht, was du suchst, Jan, ich bin nicht lebendig. Ich bin nur ein Gefäß für deine Liebe. Bleibst du hier diese Nacht, wirst du nicht mal mehr denken können, ich wäre ein Widerstand für dich. Wegen mir spring, ich weiß, was du denkst, spring und schlage dir das Gesicht auf dem Gewölbe auf, du mußt allein durch diese Nacht, Jan.
    In der Johannisnacht habe ich tot auf den Gewölbesteinen im Staub gelegen, konnte nicht aufstehen, solange ich gehofft habe und gewartet. Auf Echo, auf einen Menschen. Ich war tot, aber ich bin aufgewacht nach meinem ersten Tod mit einer neuen Haut, einer anderen Stimme, bin aufgestanden. So wie wenn man aus einer Erschöpfung am Feldrand aufwacht und die Sonne an derselben Stelle am Himmel stehen sieht, nicht weiß, ob Tage vergangen sind oder gar keine Zeit. Ich dachte nicht mehr an Echo. Ging die Stufen hoch in mein Zimmer, legte mich ins Bett und schlief bis zum Morgen.
Phantasien
    Ich habe Fieber. Der Sommer ist erstickend. Die Luft, die nachts durch mein rundes Fenster hereinweht, kühlt kaum und bringt Aufregung herein, der Tag brütet hier oben unter dem Dach, aber anders als im letzten Sommer. Ich bin hinter einer Wand aus unbeweglicher Luft, das Atmen ist schwer, überhaupt die Aufnahme, ich will nicht mehr essen, auch trinken nicht trotz eines unstillbaren Durstes, und doch drängt alles in mich hinein. Wenn das das Fieber wäre, wäre ich beruhigt, aber das Fieber ist überall. Und das Schlimme ist, daß es gar nicht aufzuhören scheint. Ich weiß nicht mehr, wie alles eigentlich sein müßte. Nachts auf den Straßen ist das Fieber, Menschen überall, manchmal die Stimmen so nah, als wären sie neben meinem Fenster. Nein, der Turm ist nicht mehr außerhalb der Welt, er ist nicht zwischen Himmel und Erde, er ist kein Schiff. Er ist die Krone eines Baumes, und an der Wurzel machen sie sich mit Äxten zu schaffen. Und wenn die ersten müde sind, dann

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